„Gott ist kein Republikaner“

Auf dem Parteitag der Republikaner in New York ist die religiöse Vereinnahmung so total wie die emotionale Ausschlachtung des 11. September

AUS NEW YORK MICHAEL STRECK

Normalerweise gelten die Republikaner in den USA als die Partei der Perfektion. Der besseren Disziplin. Und aufwändigeren Show. Nicht so hier in New York. Verglichen mit dem Parteikonvent der Demokraten in Boston vor vier Wochen ist auf der Parteiversammlung der Republikaner alles weniger anzutreffen. Weniger Delegierte und Gäste. Weniger gute Redner, Frauen, Minderheitenvertreter, Themen. Eine weniger perfekte Choreografie. Und weniger Enthusiasmus. Nur Sicherheitskräfte gibt es ungleich mehr.

Es scheint, dass die Republikaner glauben, sich nicht mehr hundert Prozent ins Zeug legen zu müssen, um die Wahl zu gewinnen. Von einem Sieg in zwei Monaten sind sie offenbar schon jetzt überzeugt. Oder kann es sein, dass die Tatsache, sich getraut zu haben, George W. Bush im liberalen New York zu krönen, sich als die eigentlich geniale Idee entpuppen könnte, der man nur noch eine vergleichsweise bescheidene Bühne zimmern musste?

Wer den Parteitag hier verfolgt, der versteht, dass für Bush und seine Wahlkämpfer nach dem 11. September keine andere Stadt in Frage kam. Genauso wenig, wie kein Krieg gegen den Irak nicht in Frage kam. Beides wird nun in vier Tagen verwoben zu Bushs großer historischer Mission, für viele direkt von Gottes Hand geleitet.

Wer ernsthaft glaubte, George W. Bushs PR-Strategen würden aus Rücksicht auf die Opfer der Terroranschläge und ihre Angehörigen die Symbolkraft der verwundeten Stadt nicht ausnutzen, verkennt, dass die Republikaner immer schon ein wenig skrupelloser waren als die Demokraten.

Opfergruppen hatten das Bush-Team in den vergangenen Wochen mehrfach dafür kritisiert, in Fernsehspots Bilder ums Leben gekommener Angehöriger benutzt zu haben. Die Partei gelobte daher, keine offiziellen Veranstaltungen am „Ground Zero“ durchzuführen. Doch darüber hinaus waren der emotionalen Ausschlachtung von „9/11“ kaum Grenzen gesetzt.

Den Höhepunkt des Eröffnungsabends am Montag bildete der Moment, als sich der Saal des Madison Square Garden verdunkelte. Nachdem sich zur Hauptsendezeit endlich auch die großen TV-Stationen eingeschaltet hatten, betraten drei Frauen vor einem schwarzen Hintergrund mit der Aufschrift „September 11, 2001“ die Bühne. Sie alle hatten entweder Mann oder Bruder bei den Attentaten verloren.

Unzählige Male erwähnten Redner davor und danach, wie Bush nach den Anschlägen auf den Trümmern des World Trade Centers stand und Amerika versprach, nun auf Terroristenjagd zu gehen. Bush der Standhafte, Unbeugsame, Mutige und Entschlossene – das war das alleinige Thema des Tages. Historische Vergleiche wurden bemüht mit Winston Churchill. Ronald Reagan. Oder Abraham Lincoln.

Dabei wurde alles auf die Karte „Überparteilichkeit“ gesetzt. Ausgerechnet die Partei, die wie selten zuvor in der US-Geschichte die Polarisierung der Gesellschaft vorangetrieben und Pragmatismus taktischen und ideologischen Gründen untergeordnet hat, entdeckte plötzlich diese Tugend wieder. „Wenn wir einen Präsidenten wählen, wählen wir im Grunde keinen Republikaner oder Demokraten, Konservativen oder Liberalen. Wir wählen eine Führungspersönlichkeit“, wollte New Yorks Exbürgermeister Rudolph Giuliani denn auch wissen. Am liebsten präsentierten die Republikaner Bush aus jenen Tagen, als der Irakkrieg noch keine langen Schatten über seine Präsidentschaft geworfen hatte. Doch die Sorge, der Krieg könnte im Wähler Zweifel an der Weisheit des gelobten Feldherrn aufkommen lassen, schien zumindest unter den anwesenden Delegierten unbegründet. Kurt Arganbright aus Nebraska sieht gerade darin, dass der Präsident gegen so viele Widerstände in die Schlacht zog, den Beweis für seine „unvergleichliche Entschlossenheit“.

Für den 25 Jahre alten Drew Peterson aus Connecticut entscheidet in der Irakfrage allein das Endergebnis. Zwar räumt er ein, dass Fehler gemacht worden sind und die Nachkriegsplanung mangelhaft war. Aber der Krieg müsse in historischen Zeiträumen betrachtet und bewertet werden. „Hier wird Geschichte geschrieben.“ Für ihn ist der Marsch auf Bagdad selbstverständlich ein Teil des Antiterrorkrieges. Dieser Satz gehört hier zum Glaubensbekenntnis vieler Republikaner.

Egal welche Fakten man Delegierten präsentiert, wie die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungskommissionen zum 11. September, viele scheinen von einem religiösen Vertrauen in ihren Präsidenten beseelt. Eine Frau in Pink, die mit dutzenden Ansteckern „I love Bush“ voll gehängt ist, kann nichts in ihrem Glauben an die Integrität ihres Stars erschüttern. Bush sei ein ehrlicher und moralisch überzeugender Mann, sagt sie. „Die Waffen werden im Irak schon noch gefunden, und eine Verbindung von Saddam Hussein zu Terroristen gab es auch. Sie glauben doch nicht alles, was in der Zeitung steht, oder?“

Selbst ein sonst so kühler Kopf wie John McCain ließ sich vor den religiösen Karren spannen. Der als Freigeist in den Reihen der Republikaner bekannte Senator aus Arizona, einst Rivale von Bush im Wahlkampf 2000 und Freund von John Kerry, sagte, dass die Mission im Irak notwendig und ehrenhaft sei, und Bush dabei lediglich einer „Bestimmung“ folge.

In Erwartung solch religiöser Anspielungen schalteten Republikaner des gemäßigten und zentristischen Flügels Anzeigen in New Yorker Zeitungen mit dem Titel „Gott ist kein Republikaner“. Andere moderate Konservative, aus Sorge, dass immer mehr ihresgleichen den Republikanern den Rücken kehren, appellierten in Aufrufen an die Partei „Come back to the Mainstream“.

So sehr sich Bushs Wahlstrategen auch bemühen, dem Parteikonvent ein moderates Feigenblatt umzuhängen, die Basis hat sich längst von der politischen Mitte verabschiedet. Eine Umfrage der New York Times unter den Delegierten kommt zu dem Schluss, dass sich nur 33 Prozent als „gemäßigt“ beschreiben, 63 Prozent hingegen als „rechtskonservativ“.