Literarischer Langstreckenschwimmer

Thalia-Dramaturg und Autor John von Düffel stellt in Oldenburg seinen Roman „Houwelandt“ vor. Auch er handelt vom Schwimmen. Und enthält entschieden zu viele Figuren

In Athen sah es mit den Erfolgen des deutschen Schwimmteams ja eher mau aus. Nun, wenige Tage nach dem Ende der Spiele, steht der literarische Langstreckenschwimmer John von Düffel auf dem Startblock zu seiner aktuellen Lesestaffel. Der Mann, der behauptet, 3,5 Kilometer Kraul schärften den dichterischen Blick für das Wesentliche, der Schriftsteller, dessen Debüt nicht zufällig Vom Wasser hieß.

Auch in seinem neuen Roman Houwelandt hat das feuchte Element wieder seinen Platz. Jorge, der gegen sich und andere unerbittliche Familienälteste, der im Mittelpunkt des Geschehens steht, zieht diszipliniert seine Bahnen durch die See. Eisern und einsam. Gekonnt fängt von Düffel die Meeresstimmung ein. Der Ruhe der maritimen Weite setzt er bei seiner Lesung in der Oldenburger Kulturetage allerdings ein zügiges Tempo entgegen.

Jorge, der kaum fassbare Stammesvater, der den nachfolgenden Generationen seinen Stempel aufgedrückt hat – selbst dem Enkel Christian, der ihn kaum zu Gesicht bekam –, lauscht der sanften Dünung. Das Publikum hingegen horcht bei der Lesung gebannt auf den rasch dahinsprudelnden Redefluss des Autors, der fast ein Sohn der Stadt ist: Einen Teil seiner Schulzeit hat er an der Hunte verbracht, drei Jahre am Oldenburgischen Staatstheater gearbeitet. Immer noch hat er hier Familie. Und nun auch einen Familienroman. „Ich habe meinen Großvater vor allem über Legenden kennen gelernt, und trotzdem kamen immer wieder Tanten an und versicherten mir, ich sei genau wie er“, erläutert John von Düffel die Grundidee seines Romans. „Das hat mich beschäftigt. Letztlich habe ich mir nun die Freiheit genommen, meinen Großvater zu erfinden.“

Das klingt wie die Entschuldigung des Houwelandt-Enkels Christian am Ende des Romans. Den aufleuchtenden Autobiografie-Alarm dimmt John von Düffel allerdings sogleich auf ein leichtes Glustern herunter: „Schon bei ,Vom Wasser‘ wurde ich immer wieder gefragt, wie stark das biografisch sei. Am Anfang der Lesereise habe ich damals immer gesagt: ,gar nicht‘. Dann: ,teils‘ und am Ende habe ich eingeräumt, es sei komplett autobiografisch. Das Buch war schließlich Teil meiner Biografie geworden.“

Bei Houwelandt steht von Düffel dieser Prozess der Annäherung an das eigene Werk noch bevor. Er sei noch näher am Schreiben, als am Lesen, lässt er die Zuhörer wissen. Folglich liegt kein Buch vor ihm auf dem Tisch, sondern das Manuskript. Ausschlaggebender für einen Live-Abend ist allerdings die Auswahl geeigneter Passagen. John von Düffel, derzeit als Dramaturg am Hamburger Thalia Theater tätig, belässt es weitgehend bei der Einführung in die polyperspektivisch aus den Sichtweisen von vier Charakteren zusammengesetzte Handlung. Jorge, dessen schwer mit der Vorbereitung der Festivitäten zum 80. Geburtstag ihres Gatten beschäftigte Frau Esther und sein verlotterter Erstgeborener Thomas kommen zu Wort. Den Houwelandt-Enkel Christian spart von Düffel allerdings aus, und die Lesung zeigt: Das Buch hätte gut ganz auf diese Figur verzichten können. Auch Ehefrau Esther fehlt es, verglichen mit Jorge, dem im mystischen Halbdunkel verbleibenden Schmerzensmann, dem der Roman seine stärksten Momente verdankt, an Tiefe. Das deutet sich bereits in den bei der Lesung vorgetragenen Auszügen an.

Der schreibende Schwimmer von Düffel, so scheint es, verwässert sein Werk, indem er sich übernimmt. Dank seiner sprachlichen Fähigkeiten bleibt das Siegertreppchen jedoch zumindest fest im Visier. Die Lesungsgäste folgen dem Autor gebannt. Niemand regt sich. „So wenig bewegt hat sich noch kein Publikum vorher“, freut sich von Düffel. „Sie haben sich einen Orden verdient.“ Oder eine Medaille. Der Olympische Geist ist noch nicht ganz passé.

Christoph Kutzer

John v. Düffel: „Houwelandt“, Köln 2004, 314. S., 19,90 Euro. Weitere Lesungstermine im Norden: Morgen, 21 Uhr, Hamburg (Buchhandlung Cohen), 5. Oktober, 15.30 Uhr, Vlotho (Studienwerk), 14. Oktober, Götttingen (Altes Rathaus)