Über den Globus versprüht

Die Stencil-Art, das Sprayen mit Schablonen, bereichert die herkömmliche Street-Art um eine reproduzierbare und abstrakte Variante. Eine Auswahl von Werken internationaler Künstler ist jetzt zum ersten Mal in einer Ausstellung zu sehen: unter dem Titel „Overspray“ im Parkhaus Zentrum Kreuzberg

Die Ewigkeit ist im Business der Stencil-Art eine sehr, sehr lange Zeit

VON ADRIAN POHR

Auf dem Dach des Parkhauses steht es geschrieben: „R.I.P.“ – Rest In Peace. Ein mehrere Quadratmeter großes Graffito ragt in den Himmel Kreuzbergs. Es könnte den künftigen Zustand einer alten Kunstart beschreiben. Denn eine Etage tiefer wird eine neue urbane Ausdrucksform ausgestellt, die den Graffiti, wie man sie kennt, den Rang ablaufen könnte – Stencil-Art.

Stencil-Art ist ein Bereich von Street-Art, bei der ein Motiv mithilfe von Schablonen an Wände gesprüht oder gemalt wird. So arbeitet man bei Stencil-Art zwar auch mit Sprühdosen, die Stilistik unterscheidet sich jedoch wesentlich von den seit Jahren überall in Deutschland bekannten Graffiti. Deren Hiphop-Ästhetik steht nun mit Stencil-Art eine stilistisch facettenreiche Kunstform gegenüber, bei der abstrakte Figuren, ikonisierte Stars oder Situationsbeschreibungen nebeneinander stehen.

Ein allzu großes Konkurrenzdenken zwischen Graffiti-Szene und Stencil-Künstlern scheint es allerdings nicht zu geben, schließlich sei man „vom gleichen gesprühten Blut“, wie Io/Monkey6, Mitorganisatorin der Ausstellung „Overspray“ im Parkhaus Zentrum Kreuzberg, versichert. Eine Konkurrenz um geeignete Sprühflächen wird es wohl auch nicht geben, schließlich bietet eine Stadt wie Berlin zahlreiche freie Plätze. So ist das nahe stehende Aussterben der Graffiti-Szene eine reichlich verfrühte Diagose.

Dennoch ist Stencil-Art eine Kunstform, die in Deutschland in diesen Tagen aus dem Schattendasein des Untergrunds zu treten scheint. Neben der vollständigen Bemalung eines Vereinshauses auf dem Helmholtzplatz durch verschiedene europäische Straßenkünstler letzte Woche werden auf der Overspray-Ausstellung am Kottbuser Tor erstmals in Deutschland versammelte Stencil-Art-Stücke von Künstlern aus aller Welt präsentiert, die bislang nur auf der Straße zu sehen waren.

Fünf Stockwerke Treppenhaus sind im Parkhaus zu erlaufen, bis man die knapp zweihundert Kunstwerke betrachtet hat, die schon zum Großteil – der Reproduzierbarkeit durch Schablonen sei Dank – auf den Straßen der Welt zu sehen waren.

Die New Yorkerin Io/Monkey6 sieht erleichtert aus, die zehntägige Ausstellung ist endlich eröffnet. Mehrere Monate war sie nun beschäftigt, die Ausstellung zu organisieren und Overspray, das erste Stencil-Art-Magazin, fertig zu stellen. „Das ist nicht einfach, wenn alle über den ganzen Globus verstreut sind“, sagt sie. Ihr Lächeln drückt Müdigkeit, aber auch Zufriedenheit aus. Es hat sich gelohnt.

Sie selbst kam extra aus New York angereist. Der Schwede Sixten, von den anderen Künstlern bewundert, nahm eine 13-stündige Busfahrt aus seiner Heimat nach Kreuzberg auf sich, nur um Teil der Ausstellung zu sein. „Die Leute hier sind abartig unterstützend“, schwärmt Io/Monkey6.

Dabei sind sich die meisten Künstler noch nie begegnet. Nur über ein Forum im Internet fand der Austausch statt. „Da ist man schon überrascht, wenn man sieht, wer hinter den einzelnen Kunstwerken steckt“, sagt Sixten mit einem Grinsen. Er ist tief beeindruckt von den vielen Ausstellungsstücken.

Das sind auch die Gäste, die so nach und nach in die fünfte Etage des Parkhauses eintrudeln. Ebenso wohl fühlen sich die Schablonenwerke in der Parkhaus-Atmosphäre, schließlich sind sie „im Alltag“ auch nicht in schicken Galerien zu Hause, sondern auf dreckigen Häuserwänden, an denen sie zudem schnell übermalt werden.

Die Halbwertszeit der meisten Werke auf der Straße ist sehr gering. Umso mehr freut es die Berliner Informatikstudentin Abolin, die die Ausstellung mitorganisiert hat, dass den versammelten Stencil-Artists die Möglichkeit geboten wird, eine 21 Meter lange Wand am Donnerstag am ehemaligen Vitra Design Museum in Prenzlauer Berg zu bearbeiten. „Die bemalte Wand soll dann dort erhalten bleiben“, sagt Abolin mit einem freudigen Lächeln. Die Ewigkeit ist im Business der Stencil-Art eine sehr, sehr lange Zeit.

Die Ausstellung im Parkhaus Zentrum Kreuzberg, Skalitzer Straße 135, geht bis zum 7. 9. Heute wird die Wand des ehemaligen Vitra Design Museums, Kopenhagener Straße 58, bemalt Infos unter www.stencilrevoultion.com und www.overspraymag.com