Frankreich als „Heimat der Atomrechte“

Seit Montag rollt ein Atomschrottzug durch Frankreich – der erste seit dem umstrittenen Staatsgeheimnis-Erlass

PARIS taz ■ „Atomtransport in Ihrer Gemeinde“ lautet die Überschrift des Faxes. Mehr als 600 BürgermeisterInnen haben es erhalten. Ihre Gemeinden liegen längs einer Zugstrecke, die Frankreich von Süd nach Nord durchquert. Auf diesem Weg sind seit Montag Brennelemente aus dem italienischen AKW Garigliano befördert worden, bestimmt für die britische WAA Sellafield. Bis das Containerschiff kommt, werden sie im Hafen von Dunkerque zwischengelagert.

Dieser italienisch-britische Atomtransport quer durch Frankreich war auf sensationelle 63 Stunden ausgelegt – damit 3-mal so lang wie die einst von den französischen Behörden zugesagte längste Durchfahrtdauer von 24 Stunden. Unterwegs musste die strahlende Fracht aus Italien 5-mal ab- und an einen neuen Güterzug angekoppelt werden. Die italienischen Kunden der britischen BFNL schicken alle vier bis sechs Wochen Müll auf den Weg zur WAA von Sellafield. Wann immer das Anti-AKW-Netz „Sortir du Nucléaire“ davon erfährt, verteilte es detaillierte Fahrpläne.

In dieser Woche hatten diese einen neuen Charakter: illegal. Informationen über Atomtransporte gelten in Frankreich als „Staatsgeheimnis“ – so ein Erlass vom 9. August. Bei Zuwiderhandlung drohen Haftstrafen bis zu 5 Jahren und 75.000 Euro. Für Jean-Yvon Landrac von „Sortir du Nucléaire“ macht das Frankreich nicht mehr zur „Heimat der Menschenrechte“, sondern zur „Heimat der Atomrechte“.

Auch der französischen Atomindustrie macht der Erlass zu schaffen. Das Unternehmen „Cogema“ – zwar nicht für italienisch-britische, wohl aber für die deutsch-französischen Atomgeschäfte zuständig – verwies seit drei Jahren immer wieder auf seiner Webseite auf aktuelle Atomtransporte. Cogema stellte das jetzt umgehend ein. Inzwischen hat das Industrieministerium, wo der Autor des Erlasses sitzt, der „Cogema“ signalisiert, dass sie wieder wie früher „transparent“ kommunizieren darf. DOROTHEA HAHN