Es springt und kribbelt und krabbelt

Die Heuschreckenschwärme in den Sahelstaaten Afrikas breiten sich unaufhaltsam aus. Im ärmsten betroffenen Land Niger fressen sie dem Vieh das Weideland weg. Die Nomaden wandern ins Bauernland – und die Heuschrecken kommen hinterher

„Im Norden ist kaum noch Weide. Nur Sand, nichts als Sand“

AUS NIAMEY SANDRA VAN EDIG

Den Hirtenstock über die Schultern gelegt schreitet Modou hinter seinen Kühen her. Mit federndem Schritt gehen die großen braunen Zeburinder ihren Weg durch die Savanne. Das weite Grasland hier im Nordwesten der Republik Niger ist grün, denn es ist Regenzeit. Modou ist Nomade; er gehört zur Gruppe der Wodaabe, die im Laufe des Jahres mit ihren Rinderherden durch den schmalen Savannenstreifen zwischen Wüste und Ackerflächen ziehen, dorthin, wo es Weide und Wasser für ihre Tiere gibt.

Unter einer kleinen Akazie macht der Hirte Halt und zeigt über die Graslandschaft, seine Heimat. Hier in der Region Tchin-Tabaraden weideten schon seine Väter und Vorväter ihre Rinder. „Früher hatten wir eine Herde, die bis zum Horizont reichte, hunderte, tausende von Rindern – ein Hirte zählt sie nicht! Dann kamen die Dürren, die uns fast alle Tiere genommen haben. Seitdem geht es uns Hirten immer schlechter, die Weiden werden weniger. Vom Norden kommt die Wüste und vom Süden die Felder.“

Dieses Jahr sei sowieso nicht sonderlich gut, sagt der 30-Jährige besorgt. „Der Regen kam viel zu spät. Jetzt ist das Gras zwar grün, aber nährstoffarm – sieh nur, meine Kühe sind immer noch ganz dünn!“, klagt Modou. Und damit nicht genug, hätten sie in diesem Jahr auch noch so viele Heuschrecken wie schon lange nicht mehr. „Im Norden von Tchin-Tabaraden ist kaum noch Weide. Nur Sand, nichts als Sand. Da sind wir dann gar nicht hingezogen.“

Auch hier springen bei jedem Schritt die gelben Insekten aus dem kniehohen Gras. Niger ist wie die Sahelländer Mauretanien, Mali und Senegal in diesem Jahr von einer gigantischen Heuschreckenplage bedroht. Jetzt breiten sich die Tiere Richtung Nigeria und Tschad aus.

„Heuschrecken lieben Feuchtigkeit und Vegetation. Davon gab es in den letzten Jahren im Sahel ausreichend. So konnten sie sich übermäßig vermehren“, erklärt der Agronom Yahaye Tahirou. Er arbeitet für Fewsnet, ein US-gefördertes Netzwerk, das frühzeitig auf Lebensmitteldefizite und drohende Hungersnöte hinweist. Schon im Juni fand er bei seinen Recherchen Schwärme von Wanderheuschrecken in den Wüstenoasen an der malischen Grenze. Sonst verlassen sie die Oasen nicht. Aber dieses Jahr begann die Regenzeit später als sonst, erklärt Tahirou. Und die Insekten zogen auf der Suche nach Nahrung Richtung Süden.

Im Juli erreichten die Heuschrecken die agropastorale Zone Nigers, die wie ein Gürtel von West nach Ost quer durch Niger bis zum Tschadsee reicht, und vernichteten 20.000 Hektar Weide. Die dort lebenden Nomaden wichen nach Süden aus. „Eigentlich ziehen wir in diese Zonen erst nach dem Ende der Regenzeit“, erklärt der Nomade Mahamane Takari. „Diesmal aber wird wahrscheinlich in wenigen Monaten bereits die Weide für die Tiere knapp.“

Abdallah Samba vom „Internationalen Zentrum zum Kampf gegen die Trockenheit im Sahel“ bestätigt, dass die Nomaden generell am anfälligsten sind. „Sie haben seit den Dürren der 70er-Jahre überhaupt keine Reserven mehr, um gesund durch schwierige Zeiten zu kommen“, erklärt er. Auch bevor die Heuschreckenplage in Niger ihren Höhepunkt erreicht, ist die Katastrophe für die Viehzüchter im Grasland des Sahel bereits eingeläutet. „Wenn jetzt nicht schnell gehandelt wird, werden in den nächsten vier Wochen allerdings auch die Ackerbauern weiter im Süden die Auswirkungen der Heuschrecken zu spüren bekommen“, warnt Yahaye Tahirou.

Im bäuerlichen Süden Nigers spricht man kaum von der nahenden Gefahr. Issaka, ein Bauer aus Dogon Doutchi, lächelt bei der Frage nach den Heuschrecken. „Allah wird uns die Plage vom Leibe halten!“, ist sich der 40-Jährige sicher. Tatsache ist aber, dass die Larven, die im Grasland geschlüpft sind, nun größer werden und Hunger kriegen. Wenn niemand etwas dagegen tut, fliegen sie in einigen Wochen unweigerlich nach Süden, um die Hirsefelder abzufressen.

Um das zu verhindern, hat Niger nun mit internationaler Unterstützung den Kampf gegen die Heuschrecken aufgenommen. Zehn Einheiten bekämpfen mit Spritzkommandos vom Boden und aus der Luft die Heuschreckennester im Norden mit Insektiziden. Hilfe kommt dabei von Algerien und Marokko. Diese Länder sind sehr an der Insektenvernichtung interessiert, da sich die Heuschrecken sonst nach Ende der Regenzeit wieder Richtung Norden ziehen.

Das Ausmaß der Schäden wird erst Ende September klar sein. Schwere Einbußen bei der Ernte sind zu erwarten. Eine Katastrophe wie 1988 erwartet Yahaye Tahirou allerdings nicht. Damals vernichteten Heuschrecken in Niger eine Million Hektar Weide- und Ackerfläche, das Land stand am Rande einer Hungerkatastrophe. Doch für die Viehzüchter ist jetzt schon klar: Ihnen stehen schwierige Zeiten bevor.