Sekretärin gegen Bush

Sie tippt Postkarten mit ihrer alten Schreibmaschine: Sheryl Oring ist zum Republikaner-Parteitag nach New York gereist

AUS NEW YORK MICHAEL STRECK

Die kleinen Metallhämmer schlagen gegen die Gummirolle. Das Geräusch, klack, klack, klack!, so vertraut und mittlerweile fremd zugleich, ist selbst im Straßenlärm der Großstadt herauszuhören. Es ist der Klang einer Schreibmaschine.

Mitten im Gewühl von Manhattan sitzt Sheryl Oring auf dem Bürgersteig und tippt auf einer schwarzen mechanischen „Erika“ Postkarten an den Präsidenten. Die Journalistin und Aktionskünstlerin schreibt auf, was Menschen an die Adresse George W. Bush, 1.600 Pennsylvania Avenue, Washington 20500, loswerden wollen: Grüße, Wünsche, Sorgen, Wut und Enttäuschung.

„I wish to say“, heißt ihr Projekt, bei dem sie Menschen auf der Straße anspricht, ob sie eine Postkarte an Bush schreiben wollen. Die alte Schreibmaschine hat dabei einen besonderen Reiz, verleiht sie dem Wort doch eine andere Schwere. Geschrieben ist geschrieben. Eine Löschtaste gibt es nicht. „Es ist so einfach. Doch bringt es die Leute dazu, über sich selbst nachzudenken und Gedanken zu formulieren“, sagt sie.

Oring ist eine Sekretärin der Bürger. Die hennarot gefärbten Haare sind streng nach hinten gebunden. Das hellblaue Kostüm ist eng geschnitten. Kerzengerade sitzt sie auf einem kleinen Hocker. Vor ihr ein flacher Tisch mit der Schreibmaschine und einem. Hinter ihr eine zwei Armlängen breite Amerikafahne.

Ihr gegenüber sitzt gerade eine ältere, lebhafte Frau, die sagt, dass sie einmal zehn Jahre lesbisch war, dann eine wiedergeborene Christin wurde und eine „Heilungsstelle“ für Homosexuelle leitet. Sie will folgende Nachricht an George W. Bush loswerden: „Lieber Herr Präsident. Ich bin ein Mitglied einer Gebetsgruppe, die täglich für Sie betet. Ich bin Ihnen zutiefst dankbar für Ihre moralische Stärke und Integrität. Ich bete, dass Sie weitere vier Jahre unser Land führen werden. – Herzlich, Ihre Meggie.“

Solche Grüße sind hier in New York die Ausnahme, erzählt Oring. Das beherrschende Thema ist der Irakkrieg, und die meisten hier sind Bush-Gegner. „Lieber Herr Präsident, würden Sie Ihre Tochter in den Irak schicken? Warum haben Sie unsere geschickt? – Teresalee Atiz“, lautet eine Postkarte von heute. Eine andere: „Lieber Herr Präsident, ich freue mich auf Ihre Rückkehr in die Privatwirtschaft. – Ein Freund aus New York.“ Insgesamt hat sie heute bereits 35 Karten geschrieben. Die meisten versieht sie auf Wunsch der Absender mit einem roten Hinweisstempel: „Dringend“, steht darauf, „Rückschein erbeten“ oder „First class“. Briefmarken hat sich auch. Eine Blaupause von jeder Karte behält sie. Für eine spätere Dokumentation.

Ihr kleines Open-Air-Büro ist ein Ruhepol inmitten urbaner Hektik. Auf der 8. Avenue jagen alle paar Minuten sirenenheulende Polizeiwagen und schwarze Limousinen vorbei zum Madison Square Garden, dem Veranstaltungsort des Republikaner-Parteitages. Passanten hasten über den Asphalt. Viele drehen sich nur flüchtig um. Manche sind jedoch neugierig und bleiben stehen. „Sie werden von der alten Schreibmaschine angelockt, stellen Fragen, und schon sind wir mitten im Gespräch.“ Der afghanische Stoffhändler, neben dessen Geschäft Oring ihre mobile Schreibstube an diesem Dienstagnachmittag aufgebaut hat, schaut die ganze Zeit interessiert zu. „Das Projekt ist in der besten Tradition amerikanischer Demokratie“, lobt er.

Wenn sie schreibt, ist ihr Körper fast starr. Das Gesicht ist bewegungslos. Allein die Finger hüpfen über die alte Tastatur. Die 38-Jährige will so neutral wie möglich bleiben, egal wie emotional die Botschaften sind, die ihr die Menschen diktieren. Eine ihrer erstaunlichsten Erfahrungen hier in New York ist, berichtet sie, dass die Leute glücklich sind, sich ihre Meinung von der Seele schreiben zu können. Dieser Bedarf verwundert, gehört doch die Redefreiheit zu den heiligen Kühen der Amerikaner. Doch Oring will in der Stadt eine Atmosphäre der Verunsicherung gespürt haben. Die Leute fühlen sich unwohl angesichts der Verhöre im Vorfeld des Parteitages, der Verdächtigungen von Protestgruppen und nun der massiven, einschüchternden Polizeipräsenz, sagt sie. „Das ist das Besondere an diesem Projekt. Du spürst sehr genau den Puls der Straße.“

Vier Monate lang hat Oring mit ihrer Schreibmaschine die USA bereist, auf Straßen und Plätzen gesessen, Stimmen Amerikas gesammelt und auf den Postweg zum Weißen Haus gebracht. Zu ihren intensivsten Erlebnissen gehörten die Begegnung mit einer Frau in Los Angeles, die Bush um eine schärfere Waffenkontrolle bittet, da ihr Sohn erschossen wurde, und das Treffen mit einer Navajo-Indianerin in Arizona, die sich vom Präsidenten eine Stromversorgung für ihr Dorf wünschte.

Die Idee zu dem Projekt kam ihr bei einem Aufenthalt in Deutschland. Immer wieder konfrontierten sie Leute mit der Ansicht, dass die meisten Amerikaner Befürworter des Irakkrieges seien. „Ich wollte zeigen, wie unterschiedlich die Meinungen in den USA sind.“