Europas erste Mondfahrt

Nach den USA und Russland steigt jetzt auch die europäische Raumfahrtagentur ESA in die Mondforschung ein. An diesem Wochenende startet in Französisch-Guyana die erste europäische Raumsonde zur Erforschung des Erdtrabanten

Die genaue globale Beschaffenheit des Mondes ist immer noch nicht bekannt

von KENO VERSECK

Klein, billig, aber innovativ und effektiv, lautet in jüngster Zeit das Motto der europäischen Raumfahrt. Unter diesen Vorzeichen steigt die europäische Raumfahrtagentur ESA nun erstmals in die Mondforschung ein, bisher eine Domäne der US-Amerikaner und Russen. Smart-1 heißt die ambitiöse Mission, die an diesem Wochenende beginnt. In der Nacht von Samstag auf Sonntag startet die ein Kubikmeter große, 370 Kilogramm schwere und mit 100 Millionen Euro äußerst kostengünstige Sonde, deren Namen für Small Mission for Advanced Research and Technology (Smart) steht, vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana zu einer mindestens zweijährigen Mondmission.

Auch nach fast vier Jahrzehnten Mondforschung und obwohl bereits Menschen den Erdtrabanten betreten haben, gibt der mit am besten erkundete extraterrestrische Himmelskörper im Sonnensystem Forschern noch immer viele Rätsel auf: Wie entstand er? Hat die Erde ihn irgendwann einmal durch ihre Anziehungskraft „eingefangen“, oder ging er aus der Kollision der Erde mit einem anderen Planeten hervor? Gibt es in den Kratern an den Polen des Mondes Wasser? Ist der Mond vulkanisch noch aktiv, wie ist sein Inneres beschaffen, und warum besaß er vor knapp vier Milliarden Jahren einmal ein starkes Magnetfeld?

Antworten auf solche und andere Fragen sollen die sieben Messinstrumente an Bord von Smart-1 geben, die insgesamt nur 19 Kilogramm wiegen und gegenüber Messgeräten vergleichbarer Missionen extrem verkleinert wurden. Eines der Instrumente ist das in Deutschland entwickelte Infrarotspektrometer SIR, ein nur 2,3 Kilogramm schweres Messgerät, das auf der Grundlage eines handelsüblichen Laborgeräts gebaut wurde und das nun in den Kratern der Mondpole nach Spuren von Wassereis suchen soll.

Anzeichen dafür hatten vor einigen Jahren bereits die beiden US-amerikanischen Mondsonden Clementine und Lunar-Prospector gefunden. Das Smart-Infraspektrometer soll nun den Nachweis erbringen: Wenn es in den ständig dunklen Kratern der Mondpole tatsächlich Wassereis gibt, dann könnte das SIR-Spektrometer dieses sogar noch unter einer dicken Staubschicht aufspüren.

Relevant ist die Frage, ob es auf dem Mond Wassereis gibt, vor allem für Projekte, die derzeit noch zur Science-Fiction zählen: nämlich für langfristig bewohnte Mondbasen. Ohne den Rohstoff Wasser wären sie nicht zu verwirklichen.

Ein anderes Instrument an Bord von Smart-1 soll Aufschluss über die Entstehungsgeschichte des Mondes geben: das in England entwickelte, fünf Kilogramm schwere Mini-Röntgenspektrometer D-CIXS. Das Gerät soll radioaktive Strahlung von der Mondoberfläche auffangen. Die Analyse dieser Strahlung lässt Rückschlüsse auf die chemische Zusammensetzung der Mondoberfläche zu.

Zwar ist die Zusammensetzung einiger Mondgesteine seit den US-amerikanischen Apollo-Missionen Ende der Sechziger- und Anfang der Siebzigerjahre bekannt. Doch die Proben, die Astronauten damals von der Mondoberfläche mitbrachten, stammen lediglich aus Äquatorregionen des Erdtrabanten. Die genaue globale Beschaffenheit des Mondes ist immer noch nicht bekannt. Wissenschaftler hoffen, mit dem Röntgenspektrometer D-CIXS erstmals eine vollständige „chemische Karte“ der obersten Schichten des Mondes erstellen zu können.

Die Mondforschung ist jedoch nur ein Teil der Smart-Mission. Der andere Teil: Neben der Arbeit mit stark miniaturisierten und dennoch leistungsfähigen Instrumenten will die ESA bei der Kommunikation der Sonde und bei ihrem Antrieb neue Technologien erproben.

So soll der Datenaustausch mit Smart-1 nicht nur über den traditionellen Radiowellenfunk laufen, sondern auch über einen von der Insel Tenerifa aus gelenkten Laserstrahl – eine Technologie, die in der europäischen Raumfahrt bisher erst mit dem experimentellen Kommunikationssatelliten Artemis erprobt wurde, nicht aber mit einer Raumsonde.

In dem knapp waschmaschinengroßen Smart-Würfel steckt auch ein so genannter Ionenantrieb – eine theoretisch seit langem bekannte, aber bislang in der Raumfahrt noch kaum genutzte Technologie. Beim Ionen-Rückstoß-Prinzip werden Atome des Edelgases Xenon ionisiert, also elektrisch positiv geladen, und dann mit hoher Geschwindigkeit – bis zu 40 Kilometern pro Sekunde – aus einem Triebwerk herausgeschleudert.

Ein Antrieb, der sehr effektiv ist: Um denselben Schub zu erreichen wie ein herkömmliches chemisches Triebwerk, verbraucht ein Ionentriebwerk etwa zehnmal weniger Treibstoff. Da chemischer Treibstoff bei Raumfahrzeugen einen der größten Gewichtsfaktoren ausmacht und jedes ins All transportierte Kilogramm hunderttausende von Euro kostet, könnten Ionentriebwerke in Zukunft vielfach Anwendung finden.

Der Nachteil eines solchen Triebwerks: Es beschleunigt nur extrem langsam und benötigt Wochen oder Monate, um auf eine Geschwindigkeit zu kommen, die ein herkömmliches chemisches Triebwerk in Minuten oder Stunden erreicht. Denn der Schub, der durch den austretenden Ionengasstrahl erzeugt wird, entspricht lediglich dem Druck, das ein Blatt Papier ausübt, wenn es auf einer Handfläche liegt.

Deshalb wird Smart-1 den 385.000 Kilometer langen Weg zum Mond auch nur im Schneckentempo zurücklegen. Was die Apollo-Astronauten in drei Tagen schafften, dafür braucht die ESA-Sonde immerhin sechzehn Monate. Infolge der geringen Beschleunigung wird Smart-1 den Weg zum Mond auch nicht direkt, sondern in Form einer Spirale zurücklegen: Die Sonde zieht langsam immer größere Bahnen um die Erde und nähert sich dabei dem Mond. Schließlich wird sie von dessen Anziehungskraft eingefangen und schwenkt dabei in eine elliptische, polare Mondumlaufbahn ein. An deren mondnähestem Punkt wird sie lediglich einen Kilometer über der Mondoberfläche schweben.

Bisher wurden Ionentriebwerke nur als Lageregelungstriebwerke in einigen wenigen erdnahen Kommunikationssatelliten sowie bei der US-amerikanischen Experimentalsonde Deep Space 1 getestet. Läuft das Ionentriebwerk bei Smart-1 erfolgreich, will die ESA ein solches auch bei ihrer Mission zum Planeten Merkur einsetzen, die für Ende dieses Jahrzehnts geplant ist.