Die Krise als Versuchsanstalt

Mit ungewissem Ausgang: Künstler aus Buenos Aires, eingeladen nach Berlin, mischen die Karten neu im Spiel der urbanen Identität

Die Zeit der Gewissheiten ist vorbei. Nicht nur in Berlin, dessen Mitte eigentlich eine Kopie des Preußenschlosses zieren soll. Doch für die ist kein Geld da. Stattdessen wurde die zum Abriss bestimmte Ruine des Palastes der Republik vorläufig von den Protagonisten der Zwischennutzung in Besitz genommen. „Volkspalast“ und Schlosspläne, sie haben sich an diesem Ort längst übereinander geschoben.

Auch in Buenos Aires haben die Brüche ihre Spuren hinterlassen. Während die argentinische Metropole noch bis Ende der Neunzigerjahre nach Europa schaute, haben die Porteños, die Einwohner der Stadt, inzwischen akzeptiert, dass sie Lateinamerikaner sind, meint der Sozialforscher Stefan Thimmel. „Die Redewendung, sie seien Italiener, die Spanisch sprechen, französische Gespräche führen und sich wie Engländer benehmen, gilt nicht mehr.“

Berlin und Buenos Aires, zwei Städte, die Diktaturen durchlebt haben, Zäsuren und Krisen, müssen sich neu erfinden. Da kommt ein „Metropolenprojekt“ des Iberoamerikanischen Instituts gerade zur rechten Zeit. Pünktlich zum zehnjährigen Bestehen der Städtepartnerschaft präsentiert sich Buenos Aires in Berlin und die deutsche Hauptstadt in der argentinischen.

Die Begriffe Erinnerung, Krise und Labor ziehen sich dabei wie die Chiffren eines Suchprozesses mit ungewissem Ausgang durchs Programm. In der Ausstellung „Identidad – oder das Recht auf Identität“ im Haus am Kleistpark thematisieren 13 argentinische KünstlerInnen mit Fotoarbeiten und Interviewcollagen die Zeit der Militärdiktatur. 10.000 bis 30.000 Kinder und ihre Eltern waren von 1976 bis 1983 verschwunden, darunter auch der Bruder und zwei Klassenkameraden des Fotografen Marcelo Brodsky. Seine Auseinandersetzung mit dem Thema Verschwinden und Erinnern wird unter dem Titel „Buena Memoria“ im Jüdischen Museum vorgestellt.

Der 49-jährige Brodsky gehört auch zu jener Generation von argentinischen Künstlern, die die Erinnerung an die Diktatur in einen Zusammenhang stellen mit den Zäsuren in der Gegenwart. Nach dem Ende der neoliberalen Neunzigerjahre, sagte er dem Tagesspiegel, hätten die Argentinier zwar kein Geld mehr, dafür aber eine Menge Themen: „Es gibt neue soziale Akteure, neue Formen des Dialogs. Die Diskussion über die Probleme des Landes ist jetzt öffentlicher.“ Als Künstler, so Brodsky, langweile man sich in Argentinien nicht.

„Krise als Labor“, so heißt auch ein von Anne Huffschmid kuratierter Dialogworkshop, der am 5. und 6. Oktober in Buenos Aires und zehn Tage später im Alten Schlachthof in Friedrichshain stattfindet. Künstler, Architekten und Stadtplaner stellen sich dabei der Frage nach den kreativen Potenzialen der Krise. Gibt es ein kulturelles und soziales Leben nach der Pleite, und wenn ja, welches?

Unangenehme Botschaften für die Berliner Kulturszene und ihren zuständigen Senator scheinen dabei nicht ausgeschlossen. Immerhin hat die Krise in Buenos Aires 2001 nicht nur bewiesen, dass in Notlagen die kulturelle Produktion zu den Grundpraktiken des Überlebens gehört. Der Aufbruch in der argentinischen Hauptstadt zeigt auch, dass es dafür nicht immer großer Kulturetats bedarf.

UWE RADA

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