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Der Mann mit dem goldenen Händchen

Ohne ihn sähe der Filmanfang anders aus: Das Londoner Designmuseum widmet dem Grafiker und Titeldesigner Saul Bass eine Ausstellung. Zusammen mit seinen Filmplakaten entwarf er in Hollywood Mitte der Fünfziger die ersten Titelsequenzen, die aus dem Vorspann eine eigene Kunstform machten

VON PAMELA JAHN

Der ganze Kinohimmel für 6 Pfund. So viel oder besser so wenig kostet den Besucher des Londoner Design Museums derzeit ein Rundgang durch die virtuose Welt des amerikanischen Grafikdesigners Saul Bass – genauso viel oder wenig wie ein Ticket für „Spider-Man 2“ im Westend. Beides durchaus lukrative Angebote. Und schade ist dabei lediglich, dass Letzteres wahrscheinlich bereits am ersten Kinotag mehr Besucher anzog, als das abseits der Ausgeh- und Kulturmeilen gelegene Design Museum bis zum Ende der „Saul Bass“-Schau am 10. Oktober erwarten darf.

Dabei muss Spider-Man schon dieser Tage wieder von den Leinwänden der Multiplexe krabbeln, um für Kollegen wie „I, Robot“ und „Hellboy“ Platz zu schaffen. Kurze Zeiten, harte Zeiten für das Kino der jüngsten Generation, an dessen rasanter Entwicklung Saul Bass in den vergangenen 50 Jahren seinen ganz eigenen Anteil trägt: 1920 in New York geboren, ging der studierte Grafikdesigner 1946 nach Los Angeles und eröffnete dort sein eigenes Studio. Als er acht Jahre später nicht nur das Plakat, sondern auch die Titelsequenz für Otto Premingers „Carmen Jones“ entwarf, eröffnete er damit nicht nur Hollywood eine neue Spielwiese für Designer, sondern auch den Zuschauern eine neue Perspektive auf das konspirative Wesen des Kinos.

Zuvor bestand der Vorspann eines Films noch lediglich aus einer Liste von Namen, die auf den geschlossenen Vorhang vor der Leinwand projiziert wurden. Preminger hingegen wollte auch die Titelsequenz lebendiger gestalten, in der aufgrund des wachsenden Einflusses der Gewerkschaften auch das Filmteam immer detaillierter aufgelistet werden musste. Die ebenfalls von Bass entworfene Titelsequenz zu Premingers Cold-Turkey-Drama „Der Mann mit dem goldenen Arm“ tat das Übrige: Vom oberen Bildrand fallen schmale, weiße Balken in die schwarze Leinwand, rahmen den Filmtitel, tanzen zu Elmer Bernsteins erstem Jazz-Score der Filmgeschichte einen stilvollen Reigen, bis sie sich schließlich zum Logo des Films, einem ebenfalls von oben ins Bild greifenden Arm, verdichten.

In der Ausstellung läuft diese Titelsequenz, die Bass in den Folgejahren zahlreiche Aufträge auch für andere Starregisseure brachte, direkt im Eingang und stellt damit das Grundprinzip des Bauhaus-Schülers voran: Reduktion und Paradoxierung.

Bevor seine legendären Plakate zu Billy Wilders „Das verflixte siebte Jahr“ sowie Hitchcocks „Vertigo“ und später „Psycho“ in den Schaukästen der Kinos und über den Sitzecken designbewusster Trendys hingen, sausten die Linien, Punkte und geometrischen Formen erst einmal durch den virtuellen Raum. So sieht es mitunter zumindest aus auf den Entwürfen, die in den großflächigen Glaskästen in der Mitte der Räume zu begutachten sind. Wie diese minimalistischen Formen schließlich in eine funktional durchdachte Titelsequenz und später in ein Plakat mündeten, dokumentieren am besten die Filmchen selbst. In drei separaten Minikinos, in denen die Vorspänne in Loops laufen, versinkt der Betrachter in sackähnlichen Polstern, bereit, von den Bildern aufgesogen zu werden. Gezeigt werden hier allerdings nur die ohnehin bekannten Klassiker von Preminger und Hitchcock, über Kubricks „Spartacus“ bis hin zu seinen letzten großen Titelsequenzen für Martin Scorseses Filme „Kap der Angst“, „Zeit der Unschuld“ und „Casino“. Und doch: Nicht nur Hitchcock war von Bass’ revolutionärer Schnitt- und Montagetechnik so angetan, dass er ihm angeblich bei der berühmten Duschszene in „Psycho“ die Regie überließ. Wir sind es auch und vergessen darüber im Dunkel des White Cube, wo wir wirklich sind.

Wirklich enttäuschend ist die Ausstellung nur da, wo sie über Bass’ eigenes filmisches Schaffen berichtet. Denn nach etwa zehn Jahren als Top-Titeldesigner in Hollywood begann er Mitte der Sechzigerjahre schließlich selbst Filme zu drehen. Und mögen die Monitore auch noch so klein sein, auf denen die fünf Kurzfilme sowie sein einziger, längst vergessener Spielfilm „Phase IV“ laufen. Auch hier ist die Handschrift des leidenschaftlichen Grafikers unverkennbar. Neben den Firmenlogos für United Airlines und Minolta sowie dem Plakat für die Olympischen Spiele in Los Angeles 1984 verraten sie gegen Ende des Rundgangs ebenso viel über seine akribische Arbeitsweise wie über die Lücken des kollektiven Gedächtnisses. Denn dort ist der 1996 verstorbene Bass, einer der Urväter des Titeldesigns, kaum als Regisseur präsent. Und das, obwohl er für seinen Kurzfilm „Why Man Creates“ 1968 seinen eigenen Oscar bekam.

Bis zum 10. Oktober, Design Museum London

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