Alter Mythos, neue Fragen

In Berlin wurde ein Mann festgenommen, der im Auftrag der Stasi getötet haben soll. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen den ehemaligen DDR-Bürger Jürgen G.

BERLIN taz ■ Vor dreizehn Jahren beschloss der DDR-Ministerrat, die Staatssicherheit aufzulösen. Am vergangenen Montag nun verhafteten Beamte des Bundeskriminalamtes erstmals einen Mann, der für den DDR-Geheimdienst Auftragsmorde begangen haben soll. Das teilte Generalbundesanwalt Kay Nehm am Mittwochabend mit. Der 53 Jahre alte Berliner Jürgen G. werde verdächtigt, zwischen 1976 und 1987 als Stasi-Mitarbeiter mehrere Personen getötet zu haben. Er habe zu einem speziellen Stasikommando gehört. Seit Dienstag sitzt G. in Untersuchungshaft.

Die überraschende Festnahme belebt eine Debatte neu: Verfügte die Staatssicherheit über „Killerkommandos“ (Bild)? Oder gehört dies ins Reich der Agentenmythen? 007 oder 08/15, lautet die Frage.

„Ich bin verwundert, dass es im Fall der Arbeitsgruppe S des Ministers bisher nie eine Festnahme gegeben hat“, sagte der Berliner Historiker Hubertus Knabe gestern der taz. Der Arbeitsgruppe, die 1953 als „Abteilung zur besonderen Verwendung“ gegründet worden sei, hätten bis in die 80er-Jahre insgesamt 3.500 Mitarbeiter angehört. Aus den Akten der Birthler-Behörde gehe hervor, dass diese ausgebildet wurden, um zu sabotieren und zu töten. Allerdings seien keine Berichte überliefert, in denen einzelne Fälle geschildert würden. „So etwas hat man nicht aufgeschrieben“, sagte Knabe.

Ungeklärte Todesfälle geraten nun wieder in die Schlagzeilen. Der DDR-Fußballer Lutz Eigendorf starb 1983 bei einem Autounfall, nachdem er vier Jahre zuvor in die Bundesrepublik geflohen war. Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht, er sei von einem Stasiagenten ermordet worden. Wahlweise durch einen Schuss auf den Autoreifen oder durch ein Kontaktgift am Türgriff. Beweise gibt es keine.

Einer, der es wissen könnte, relativiert den Mythos vom langen Arm der Staatssicherheit ein wenig. Werner Stiller war hoher Offizier der DDR-Auslandsaufklärung. Er lief 1979 in die Bundesrepublik über und enttarnte mehrere Stasiagenten. Stiller beantwortete die Frage nach den Killerkommandos 1992 im Spiegel so: „Ich halte das nicht für ausgeschlossen. Aber dass die fest etabliert waren, glaube ich nicht.“ Nachdem er übergelaufen war, habe er keine Angst vor der Stasi gehabt.

MATTHIAS BRAUN