„Sind Sie Künstler oder sind Sie Objekt?“

Seit neun Jahren gestalten KünstlerInnen und NachbarInnen die Ausstellungen des Hamburger KOTTWITZKellers. Diesmal geht es um „NICHTS“

Das „Nichts“ scrabbeln. Man kann auch an einer Tombola teilnehmen, auf der es Nichts zu gewinnen gibt

„Ich suche“, steht auf dem grünen Flyer, der am Ampelpfahl klebt. Nichts besonderes eigentlich, doch dann wird’s interessant. Da sucht nämlich jemand „keine Wohnung, keine Arbeit, kein lukratives Nebeneinkommen, ich suche nichts.“ Unten hängen die obligatorischen Telefonschnipsel zum Abreißen.

Die Flyer sind Barbara Schirmers Beitrag zur „NICHTS“-Ausstellung im Hamburger KOTTWITZKeller. Ihre Zettel hängen schon länger an Laternenpfählen, Ampeln und Elektrokästen im Stadtteil Eimsbüttel. Es haben sich auch schon Leute gemeldet. „Einer hat – ganz konsequent – nichts auf den AB gesprochen“. Heute und morgen lädt die ArtDirektorin die Besucher des KOTTWITZKellers zum Scrabbeln ein. Jeder hat die Buchstaben NICHTS zur Verfügung und soll daraus neue Wörter bilden. Man kann aber auch an der Tombola teilnehmen, auf der es Nichts zu gewinnen gibt: zum Beispiel eine alte Vinylschallplatte der Neue Deutsche Welle Band Nichts aus den 80er Jahren.

Der KOTTWITZKeller ist 363 Tage im Jahr die Fahrrad- und Rumpelkammer eines Jugendstil-Mietshauses. Die „NICHTS“-Objekte hängen in den engen Gängen, die zu den Kellern führen. Der Initiator der KOTTWITZKeller Ausstellungen, Wolfgang Scholz, wohnt mit seiner Familie im Erdgeschoss. „Die Räume waren eine Verlegenheitslösung, als ich vor neun Jahren anfing“, erklärt der Grafik-Designer. „Ich wollte Kunst mit Menschen machen. Früher habe ich jahrelang Mail Art gemacht. Also ein Thema per Mail ausgegeben, zu dem Hunderte von Leuten Internetkunst gemacht haben. Der Keller geht weg von der Internet-Anonymität, hin zum Persönlichen.“

1996 haben sechs Männer ihre Ideen zum damaligen Thema „Licht“ in die Kellerräume der Kottwitzstraße 10 getragen. „Mir war wichtig, die Menschen zu kennen. Sie kommen alle aus meinem privaten oder beruflichen Umfeld“, so Scholz. Inzwischen hat sich der Kreis auf 27 Aktive ausgedehnt. „Einige habe ich über Nachbarn kennen gelernt, andere sind mir so zugeflogen.“ Wie Ilse Hensel, die Haiku-Macherin. Die 74-jährige Mikrobiologin ist im Museum auf Wolfgang Scholz zugetreten mit den Worten: „Sind Sie Künstler oder sind Sie Objekt?“ Aus der Frage entwickelte sich eine mehrjährige Zusammenarbeit.

Barbara Schirmer wiederum hat sich „reingeschmuggelt“. Sie kam als Besucherin zur „Lügen“ Ausstellung, hat aber heimlich ihr eigenes Objekt, den „Lügenbügel“ an die Wand gehängt. „Das ist ein Kleiderbügel mit Zetteln, worauf die Leute ihre Lügen schreiben konnten“, schmunzelt die Eimsbüttlerin. Ihre Projekte leben von der Interaktion, andere MacherInnen malen oder fotografieren.

Wie mit „Licht“, „Herz“ oder „Lügen“ wählt Organisator Scholz für die Projekte immer allgemeine Themen. Zu denen entwickeln die Kottwitz-Aktiven ihre Ideen. Das diesjährige Sujet „NICHTS“ findet Scholz am schwierigsten: „Es ist belastet durch Namen wie Sartre, Camus, Beckett“. Scholz wird draußen vor dem Hauseingang einen Pappkasten platzieren. Darin steht ein Fernseher, der das Fußballspiel Livorno gegen Bologna in Schleife überträgt. „Wir sehen im Fernsehen eigentlich nur rote, grüne und blaue Punkte“, erläutert Scholz. „Das Fußballspiel ist Illusion.“ Katrin Jäger

KOTTWITZKeller zum Thema „NICHTS“: 5. 9., 15–20 Uhr, 6.9. 11–15 Uhr, Kottwitzstraße 10. Das Dramulett „NICHTS“ wird aufgeführt am 4.9. um 16.30 Uhr sowie am 5.9. um 14.00 Uhr. Sprechperformance „Stimmen im Nichts“: 4.9. 18 Uhr sowie 5.9., 12.30 Uhr