Auf soliden hölzernen Füßen

Ein Holzbauexperte will Türme für Windkraftanlagen aus Fachwerk erstellen – Zimmerer und die Forstwirtschaft hoffen auf Großaufträge. „Technisch ist das machbar.“ Die notwendige Verbindungstechnik sei längst ausgereift. Auch offshore geeignet

„Die Idee mit nachwachsenden Rohstoffen ist sehr interessant“

Ein ungewöhnlicher Vorschlag verblüfft derzeit die Windbranche: Holzbauexperten wollen künftig Türme für Megawattanlagen in Holzfachwerk-Bauweise anbieten. Grundlage dieser Idee ist eine Machbarkeitsstudie, die Julius Natterer, Professor an der Eidgenössischen Hochschule im schweizerischen Lausanne, soeben vorgelegt hat. Die Studie hat Gewicht: Natterer gilt als der „Holzbaupapst“ Europas.

Im Auftrag des Innungsverbandes des Zimmererhandwerks Westfalen rechnet Natterer darin vor, dass selbst Anlagen auf 98 Meter hohen Holztürmen bedenkenlos realisierbar sind. Ohne Probleme erfülle Brettschichtholz die statischen Anforderungen, die der mehrere hundert Tonnen schwere Aufbau stelle. Zudem sei das Material den Baustoffen Stahl und Beton „stark überlegen“. Und was die dynamische Belastbarkeit des Holzes betrifft, so stimmten auch hier die Untersuchungen „sehr positiv“. Unstrittig ist für den schweizerischen Holzbauexperten auch die Haltbarkeit des Biobaustoffs: „Mindestens 100 Jahre“ könne man für die Fachwerkkonstruktion ansetzen, lässt Natterer wissen.

Die Idee ist so unkonventionell, dass sie selbst ausgewiesene Windkraftexperten überrascht. „Das war bei uns nie ein Thema“, sagt Jochen Twele vom Bundesverband Windenergie. „Schwer einschätzbar“ findet auch sein Kollege Carlo Reeker die Frage, ob das Holz tatsächlich die notwendigen technischen Voraussetzungen mit sich bringt. Dennoch findet auch Reeker „die Idee, nachwachsende Rohstoffe einzusetzen, sehr interessant“.

Distanziert regieren bislang die meisten deutschen Windkraftfirmen. Auskünfte wie „das liegt fernab aller Überlegungen“ und „das ist vorerst nicht angedacht“ signalisieren noch große Skepsis. Die Branche, die heute in Deutschland mehr Stahl verbraucht als der Schiffbau, hält das Holzzeitalter offensichtlich für überwunden.

Doch der Schweizer Holzbauer steht mit seiner Vision nicht allein da. Auch die Turmbau-Experten der Firma SeeBa Energiesysteme in Stemwede halten Windkrafttürme aus Holz für realisierbar. „Technisch ist das machbar, das ist keine Frage“, sagt deren technischer Leiter Klaus Hüsemann. „Holz ist ein Baustoff, der mit entsprechenden Querschnitten auch die auftretenden Kräfte aufnehmen kann.“ Die notwendige Verbindungstechnik sei längst ausgereift – „es gibt also wenig, was dagegen spricht.“

Und deswegen will jetzt das Zimmererhandwerk dem Baustoff auch in der Windbranche auf die Beine helfen. Erster Schritt ist der Bau einer Demo-Anlage der Megawattklasse – längst laufen Gespräche des Innungsverbandes in Schmallenberg mit Gemeinden des Umlandes. Erste Reaktionen seien „sehr positiv“, berichtet Geschäftsführer Matthias Eisfeld – er führt dies auf die „größere Akzeptanz zurück“, die der Holzturm erfahre. Schließlich passe sich dieser „viel harmonischer ein als ein Stahl- oder Betonturm in die Landschaft“.

Zugleich lockt Kommunen wie Forstbetriebe die wirtschaftliche Perspektive: Bis zu 600 Kubikmeter heimischen Fichtenholzes werden für den Turm einer Megawattanlage benötigt – so könnte die Windkraft ein veritables Konjunkturprogramm für die Holzbaubranche werden. Und deswegen will der Innungsverband zusammen mit westfälischen Forstämtern eine Firma gründen, die unter dem Namen „Twindo“ künftig die Türme vermarktet. Nachdem das Projekt auf der noch bis morgen in Husum stattfindenden internationalen Windmesse erstmals offiziell präsentiert wurde, will sich der Innungsverband in Kürze auf einen Windkrafthersteller festlegen, mit dem er den Prototypen bauen wird.

Eisfeld hält auch aus Gründen der Transportlogistik die Holzvariante für interessant: Die immer wuchtigeren Stahlrohrtürme lassen sich immer schwerer an die gewünschten Standorte bringen. Gerade für abgelegene Regionen mit engen Zufahrten sei der Fachwerkbau somit attraktiv, sagt Eisfeld. Schließlich werde der Holzturm zerlegt transportiert – in Einzelteilen von maximal 18 Metern Länge und 1,60 Metern Kantenmaß.

Ökologisch vorteilhaft sei der Holzturm zudem. Er brauche keinen so üppigen Betonsockel wie heute üblich, sondern komme je nach Untergrund sogar mit Punktfundamenten aus. Auch der Energieeinsatz bei der Fertigung des Turmes sei „erheblich geringer“ als beim Pendant aus Stahl. So werde der Fachwerkbau in der Serie auch nicht teurer sein als der Stahlturm.

Als hätte er damit die Windbranche noch nicht genug verblüfft, schiebt der Geschäftsführer der Zimmererinnung schließlich noch die nächste Vision nach: Nicht so sehr an Land, also onshore, sehe er auf lange Sicht das Einsatzgebiet der Holztürme – sondern offshore. Und das nicht allein deswegen, weil für Meeresstandorte in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts der größere Absatz zu erwarten ist, sondern auch aus simplen technischen Gründen sogar in doppelter Hinsicht: Zum einen dämpfe Holz die Geräusche der Maschinen so stark, dass die Schwingungen kaum das Wasser erreichten. Zum Zweiten locke eine besondere Langzeitstabilität: Während die Stahltürme vom aggressiven Seewasser nämlich massiv angegriffen werden, weiß Eisfeld, wirke das Salz auf das Holz „sogar konservierend.“ BERNWARD JANZING