Von Bienen und Menschen

Die Ratlosigkeit des Unterwegs: Der Schriftsteller Marcel Beyer und der Komponist Enno Poppes brachten am Donnerstag im Haus der Berliner Festspiele ihre Oper „Interzone“ zur Uraufführung

VON BJÖRN GOTTSTEIN

Schwärmen, das ist etwas für Verliebte und Insekten. Und verliebt ist der Held aus William S. Burroughs „Interzone“ beileibe nicht. Er schwärmt tobsüchtig, mit dem kruden Pathos der Obszönität. Mit einer Bienenlehre im Gepäck ist er auf dem Weg nach Tanger, als Insektenforscher in einer Stadt, die 1912 zur Internationalen Zone, zur „Interzone“, deklariert wurde.

Burroughs traumverlorene Erzählung ist Ausgangspunkt der Oper „Interzone“ von Marcel Beyer (Libretto) und Enno Poppe (Musik), die am Donnerstagabend im Haus der Festspiele zur Uraufführung kam. Schon die Zusammenarbeit der beiden Künstler ist eine kleine Sensation. Zwar hat Beyer die musikalische Kollaboration nie gescheut, dann aber die Nähe zu Popbands wie den Kastrierten Philosophen gesucht. Poppe hingegen, ein Avantgardist im emphatischen Sinne des Wortes, hat literarische Stoffe bislang gemieden.

Beyers englischer Text ist eine üppige Burroughs-Paraphrase, der Handlung und Szenen bestenfalls andeutet. Poppe wiederum taucht Beyers Bilder in kühle bleierne Farben mit fahlen Holzbläsern, altmodischen Keyboards, Schlagzeug und einem Akkordeon. Die Klangtypen und -gesten tragen dabei einen unterhaltungsmusikalischen Zug: Dies erinnert an futuristischen Space-Funk mit bratzigen Keyboards, jenes an den Schlager der Dreißigerjahre. Dabei führt Poppe, auch das gehört zu den schönen Überraschungen des Abends, die Musik eng am Text entlang. Ein defätistisches „Same old same old“ wird vom Solisten (Omar Ebrahim) musikalisch nachgerade ausgespieen, ein elegischer Bienengesang wiederum wird von summenden Liegetönen begleitet.

Trotzdem wird die Musik dem Text nicht untergeordnet. Enno Poppe, Jahrgang 1969, wurde mit einem funkelnden Ensembleklang berühmt. Zu seinen stilistischen Spezifika gehören wuchernde Motive, eng verwobene Stimmen und eine naturtrübe Harmonik. In „Interzone“ hat Poppe auf diese Techniken nicht verzichtet, sondern im dramatischen Zusammenhang sinnvoll zum Tragen gebracht. Nur wo sich die Musik über den Text erhebt, kommt sie zu sich selbst. In den Zwischenspielen befreit sie sich von der latenten Klaustrophobie des Textes und wird zu sinnlichem Diskurs. So zum Schluss des Werkes, den Poppe mit erratischen Akkordblöcken versieht, die weit über die Bilder der Handlung hinausweisen.

In den erzählerischen Höhepunkten hingegen fällt die Musik in sich zusammen. Zu den magischen Momenten gehört eine Szene, in der die Grenze zwischen dem Protagonisten und seiner Begierde, den Bienen, verwischt. Der Sprecher ächzt vor knisterndem Rauschen. Wie ein überdehntes Rezitativ erstreckt sich sein monodischer Gesang vor einem Synthesizer. Dies exponiert den weltentfernen Zug, der schon Burroughs’ Roman auszeichnete. Die spröde Elektronik erinnert an düstere Science-Fiction-Szenarien, wie die enigmatischen Schlusssequenzen aus Tarkowskis „Solaris“ oder Kubriks „2001“. Bei alledem ist „Interzone“ weder Science-Fiction noch eine Oper über Bienen. Er möge in einer Lache aus Speichel, Blut und Bier zugrunde gehen, wenn er nur nicht in einem elenden Bett zu sterben habe, fleht der unpässlich gewordene Protagonist. Denn das eigentliche Sujet ist die Rastlosigkeit des Unterwegs.

Unterstrichen wird dieser Zustand von einer Videoarbeit der belgischen Künstlerin Anne Quirynen. Architektonische Außenansichten, Menschen im Freien, städtisches Leben. Zwischen Indien und New York entsteht da noch mal ein ganz anderer Zusammenhang, der Musik und Text allerdings nicht anreichert, sondern meist fahrlässig mit Bedeutung zustellt. „Lieder und Bilder“ haben die Künstler das Stück genannt. Und eine Oper ist es auch nicht geworden – den dramatisch bewegten Momenten und kontemplativen Stillständen zum Trotz. Gewiss hätte dem Stück Bühne, Kostüme und Rollenregie schlecht gestanden. Nur fangen Quirynens Bilder die visuelle Leerstelle leider nicht auf. Verhaltener Applaus für ein großartiges Stück Musiktheater.

Wieder heute und morgen, 20 Uhr, Haus der Festspiele, Schaperstraße 24