Natürlich vermöbelt

Hartz IV schlägt zu – die Menschen schlagen zurück. Impressionen aus der Berliner Republik

Die Unruhe wächst, die Erregungskurve steigt. Schon kommt es zu ersten Eruptionen der Gewalt. Der Berliner Tagesspiegel berichtete in seiner gestrigen Ausgabe von gleich zwei tätlichen Angriffen in der Arbeitsagentur Berlin Treptow. Vorgestern war dort eine Kundenberaterin von einem Bezieher von Arbeitslosenhilfe mit einem Messer bedroht worden, kurz darauf schlug ein Arbeitsloser eine andere Arbeitsuchende nieder, weil sie ihm im Weg gestanden hatte. Hartz IV bringt uns alle noch um den Verstand.

Wer für diese These noch einen weiteren Beweis sucht, musste dem Tagesspiegel gestern nur die beigelegte Werbung eines Spandauer Möbelhauses entnehmen. Das „Journal No. 110“ der Firma Casa in Natura zeigt auf dem Titel harmlos-langweilige Möbel im so genannten Landhausstil und bewirbt sie mit dem Slogan: „Unser Holz arbeitet. Hartzt aber nicht.“ Erst beim dritten Blick fällt auf, dass im Bildhintergrund eine Arbeitsamtfiliale abgebildet ist.

Auch hinter kruden Gedanken darf man einen Sinn vermuten, selbst wenn er sich wie hier gut versteckt. Das zwölfseitige Werbeblättchen enthält keinen weiteren Hinweis auf unverhoffte Zusammenhänge zwischen Holzmöbeln und Arbeitsmarktpolitik. Die Lösung muss also auf der Titelseite zu finden sein.

„Unser Holz arbeitet.“ Wenn das Holz arbeitet, kombinieren wir, muss es wohl auch nicht zum Arbeitsamt. Richtig? Will Casa in Natura der Kundschaft also signalisieren, dass sie nur Möbel für abgesicherte Besserverdiener anbietet? Das wäre herzlos. Außerdem würden die pseudoantiken Landhausmöbel dann wohl kaum vor dem Arbeitsamt abgebildet, sondern vor einem – nun ja – Landhaus!

Aber ist das Schlüsselwort nicht schon gefallen? Tatsächlich! Es heißt „pseudoantik“. Die Möbel von Casa in Natura können für Laien noch so sehr nach Antiquitäten aussehen und womöglich immens viel mehr kosten als echte alte Möbel von der Antiquitätenmesse – „der Staat“ kann sie einem trotzdem nicht wegnehmen! Denn der hat in seiner geballten Kleinbürgerlichkeit beschlossen, dass nicht unterstützt werden dürfe, wer in hundertjährigen Möbeln wohnt. Sollen wir nun unsere echt alten Möbel wegwerfen und statt dessen falsche alte kaufen? Handelt es sich bei Casa in Natura in Wirklichkeit um ein rot-grünes Konjunkturförderprogramm?

Wir werden es so bald nicht erfahren. Die Homepage der Firma allerdings lässt eher an außer Kontrolle geratende Montagsdemos denken: www.wir-vermoebeln-berlin.de. REINHARD KRAUSE