Umfassende Problemstellungen

Ein „Reisebericht erstattender Roman“, jüngst im Hamburger Mareverlag erschienen: „Afghanistan Picture Show oder Wie ich lernte die Welt zu retten“ bezieht Stellung in einer Situation ohne einfache Wahrheiten

Ein überzeugender Versuch, der komplexen Situation Rechnung zu tragen

Es verwundert nicht, dass Michael Winterbottom mit In This World in diesem Jahr auf der Berlinale den Goldenen Bären gewonnen hat, war sein Sujet „Flüchtlingsschicksal“ doch dem Zeitgeist gemäß auf das „Allgemeinmenschliche“ ausgerichtet. Für ein hiesiges Publikum unbequeme Fragen – welche politischen Realitäten stehen hinter der Flucht, wie reflektieren die Porträtierten ihre Situation – stellt der Film kaum. Eine umfassendere, das Thema von verschiedenen Seiten bearbeitende Problemstellung ist nun in Buchform vorzufinden. Afghanistan Picture Show oder Wie ich lernte die Welt zu retten heißt William T. Vollmanns überzeugender Versuch, der komplexen Situation in einem Krisengebiet Rechnung zu tragen.

Stellung bezogen wird in dem „Reisebericht erstattenden Roman“, der unlängst im Hamburger Marebuchverlag erschienen ist, in einer Realität, in der sich Stimmen, Situationen, Analysen überschneiden und in der es weder die reine Wahrheit noch die richtige Tat gibt. Unverblümt geht dabei als Erstes dasjenige über Bord, was gemeinhin Motivation für unzählige Dritt-Welt-Länder-Reisende ist: das Helfen. Die Hauptfigur, ein junger Mann, der nach Afghanistan aufbrach, um den Mudschaheddin in ihrem Kampf gegen die sowjetische Besatzung (1979–1989) nützlich zu sein, ist dort fehl am Platz. Sein Flug hat bereits mehr gekostet, als er anschließend zur Unterstützung der Kämpfenden mit seiner Diashow einnehmen wird. Er kann zwar Fotos, aber nicht mit dem Gewehr schießen. Er spricht kaum ihre Sprache, hat einen Darminfekt, kennt die Gepflogenheiten nicht. All das wäre die Geschichte eines Scheiterns, gäbe es nicht jene andere Erzählung, die dem Misslingen mitgegeben ist: die Begegnung.

So streift der junge Mann durch Flüchtlingslager und Büros politischer Parteien, stellt naive Fragen und bekommt Antworten, die zwar nicht dem moralisch Guten entsprechen, jedoch ein facettenreiches Bild der Lage wiedergeben und Position beziehen – insbesondere gegenüber der damaligen sowjetischen Besatzung. „Der alte Mann antwortete sofort. ‚Wir brauchen nicht Essen; wir brauchen nicht Geld, wir brauchen nur Waffen, um mit den Russen zu kämpfen, verstehen Sie?‘“

Lässt man sich mit dem jungen Mann darauf ein, dass der Widerstand gegen die sowjetische Besatzung richtig und allgemein erwünscht ist, dann entsteht in der Beschreibung die Position der politischen Subjekte, die gleichzeitig Flüchtlinge oder ins Exil Vertriebene sind. Und das ist allemal eine respektvollere Haltung als die einer menschelnden Kamera, die nur das scheinbar Objektive kennt.

Doro Wiese

William T. Vollmann: Afghanistan Picture Show oder Wie ich lernte, die Welt zu retten, Marebuchverlag, Hamburg 2003, 399 S., 22 Euro