Crashkurs in Kapitalismuskritik

Anja Gronau heftet sich an Rosa Luxemburgs Denken im Theater unter Dach

Rosa ist in. Die Grips-Theater-Belegschaft singt sich seit einigen Wochen mit gebotenem Revolutionspathos durch die Lebensstationen der Luxemburg. Jetzt setzt die Regisseurin Anja Gronau im Theater unterm Dach nach. Hier allerdings singt Rosa nicht, sondern erklärt uns die Wirtschafts- und Finanzkrise – und zwar gleich in dreifacher Gestalt.

„Der Kredit“, doziert Rosa Nummer eins, „bietet nicht nur das technische Mittel, einem Kapitalisten die Verfügung über fremde Kapitale in die Hand zu geben, sondern bildet für ihn zugleich den Ansporn zu einer kühnen und rücksichtslosen Verwendung des fremden Eigentums, also zu waghalsigen Spekulationen.“ Rosa Nummer zwei ist begeistert: „Das ist toll! Der Artikel ist gut!“ – „Leipziger Volkszeitung, 1899“, klärt die erste Rosa auf. Und die dritte glaubt zu wissen: „Gerade jetzt erwacht das Bewusstsein der Massen.“

Tatsächlich spart Anja Gronau biografische Details fast vollständig aus und setzt ganz auf die Theoretikerin. Gemäß dem Titel „Rosa – ich war, ich bin, ich werde sein“, der hölzerner und (revolutions-)kitschiger klingt, als der Abend tatsächlich ist, versucht sie sich dabei an großen Brückenschlägen. Ihre drei Schauspielerinnen Katharina Eckerfeld, Renate Regel und Martina Schiesser stehen auch für eine Art potenzielle Rosa im Wandel der Zeiten. So lässt sich in die Utopie-Debatte von gestern auch gleich noch prächtig die Abwinkgeneration von heute hereinholen und dem Naivitätsvorwurf entgehen: „Wer will denn so was hören? Das interessiert doch keine Sau!“

Rosa dreifach also: Während die optisch am ehesten am Vorbild orientierte Denkerin im leicht anhistorisierten Damenkostüm ihre Einsichten vorzugsweise in eine klapprige Schreibmaschine hackt, lümmelt sich ihre eher romantisch veranlagte Kollegin in der Arbeiterjacke gern mal auf eine der weißen Bänke, die Mi Ander wie Stege auf die Bühne gebaut hat. Die dritte Rosa, mit Markenbewusstsein und sehr heutigen Gucci- und Givenchy-Aufschriften auf dem T-Shirt, nutzt diese Stege lieber als Podeste zur wirkungssicheren Agitation.

Was den Tenor des achtzigminütigen Abends betrifft, sind sich die Rosas jedoch einig: „Hallo! Merkt hier noch jemand was? Gibt es hier noch denkende Menschen oder nur noch Konsumenten?“ Kurzum: Gronau hat – Marx’ „Kapital“ ist zurzeit schließlich auch ein Renner – auf Basis der Luxemburg’schen Theoreme einen kapitalismuskritischen Abend geschaffen, der gut zu den tagesaktuellen Nachrichten passt, faktisch nicht anfechtbar ist und viel erzählt, was man schon weiß. Die schreibende Rosa beziffert noch einmal das Vermögen des älteren Aldi-Bruders Karl Albrecht (21.661.862.735 Euro) sowie den Brutto-Stundenlohn einer Lebensmittel-Discounter-Kassiererin (7 Euro). Die Markenbewuss- te beklagt anhand ihres funktionsuntüchtigen Staubsaugers unlautere Maßnahmen zur Nachfragesteigerung. Und die Romantische bricht das System auf Kindergarten-Niveau herunter.

Aus dieser ironischen Rahmenkonstruktion fallen die hehren Weltverbesserungsvorschläge am Ende laut und deutlich heraus: „Eine Welt ohne Ungerechtigkeit und Angst und Unterdrückung – hey! Eine Welt ohne Legebatterien – hey!“, intonieren die Rosas auf Peter Fox’ Song „Hey, wenn’s dir nicht gefällt, mach neu!“

Für Gronau selbst ist dieser Abend der Abschluss einer „Trilogie der starken Frauen“, die in ähnlicher Methodik bereits Leni Riefenstahl und Frida Kahlo beleuchtet hatte. Ihr Verfahren, tatsächlich zum Kern einer Person oder Denkungsart vorzudringen statt biografische Stationen abzuhaken, ist dabei so dankenswert analytisch wie arbeitsaufwändig. Im Falle von „Rosa“ allerdings ließ sich die Regisseurin zu einer Art Kapitalismusanalyse-Crashkurs für Einsteiger verführen. Wer sich aber ein Rosa-Luxemburg-Stück für den Abend aussucht, gehört in der Regel zu den Fortgeschrittenen.

CHRISTINE WAHL

14. + 15. März, 20 Uhr, Theater unterm Dach, weitere Spieldaten im Theater Unterm Dach, Danziger Str. 101