„Ein Entweder-oder gibt es nicht“

Junot Díaz hat einen Roman über einen jugendlichen Außenseiter geschrieben und dafür eine aufregende Sprachmischung aus „Spanglish und Nerdish“ erfunden. Für seinen Erstling bekam er den Pulitzer-Preis. Am Donnerstag stellte er sein Buch vor

Einen Nerd hatte zur Buchpremiere im Kino Babylon niemand erwartet, und ein solcher kam auch nicht. Mit Junot Díaz betrat ein redegewandter Autor die Lesebühne und präsentierte „Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao“. Er las also aus seinem US-amerikanischen „Kultroman des Nerds“, der von einem liebenswürdigen Versager-Helden handelt. „Oscar war ein introvertierter Junge, der während des Sportunterrichts vor Angst zitterte und sich abgefahrene britische Serien wie Doctor Who ansah.“ Ein dicker sozialer Außenseiter. Von seinem tío Rudolfo wird Oscar erfolglos in Sachen Frauen unterwiesen: „Hör zu, palomo: Du musst dir einfach eine muchacha greifen, y metéselo. Dann ist alles klar. Schnapp Dir eine fea, eine Hässliche, eine fea, y metéselo.“

Es ist jener rasante Sprachrhythmus, die eigene Sprachkreation aus „Spanglish und Nerdish“, die Díaz seinen persönlichen „sound of the novel“ nennt. Der Autor wurde 1968 in der Dominikanischen Republik geboren und wuchs gemeinsam mit zwei „Biestern von Schwestern“ auf, die ihn zu dem gemacht hätten, was er heute sei – „nerdish at all“ mit einem großen Talent zur Selbstironie. „Sie haben mir gar keine andere Wahl gelassen, als als Nerd einen Nerd-Roman zu schreiben.“ Als Sechsjähriger übersiedelte Díaz mit seiner Familie nach New Jersey in den Vereinigten Staaten. „Oscar Wao“ ist sein erster Roman, für ihn bekam er 2008 den Pulitzer-Preis.

Díaz wurde auf der Lesebühne von Jasmin Tabatabai begleitet, die aus der deutschen Übersetzung las. In grasgrüner Jacke hatte die Schauspielerin bei ihrer Kleiderwahl auf kontrastreiche Farbakzente gesetzt. Díaz hingegen hätte mit seiner Brille und dem dunklen Samtjackett vor dem grauen, meterhohen Kinovorhang optisch leicht verlorengehen können. Tat er aber nicht. Er zeigte Präsenz durch smarte Professionalität und signierte auch noch nach 15 Monaten Burnout-verdächtiger Lesereise den Berliner Fans ihre zahlreichen Bücher.

„Hellooo! Ladys and gentlemen, do you have any questions about Oscar?“ Das Publikum, dem Stimmgewirr nach vor allem aus der englischsprachigen und der Latino-Community stammend, hatte Fragen. An wen er beim Schreiben denken würde? „You!“, an den Leser natürlich. Für jede gedruckte Romanseite habe er etwa 15 Manuskriptseiten mit möglichst authentischer Sprache gefüllt. Ob er sich aufgrund seiner lateinamerikanischen Herkunft als Chicano-Autor in den Staaten begreifen würde? „Nothing like that, my dear.“ Erstens seien „Chicanos“ mexikanische Schriftsteller in den südlichen Grenzstaaten der USA, wie etwa Arizona. Und er, nun ja, lebe eben in New York. Zudem lasse sich seine Literatur auf keine kulturelle Identität festlegen. „Ein Entweder-oder gibt es nicht.“ Frage ihn jemand, ob er sich als Amerikaner oder als Latino fühle, so antworte er stets, dass die Liste seiner Identitäten lang sei. Er sei in der afrokaribischen Kultur genauso verwurzelt wie in der amerikanischen.

Seinem Herkunftsland, der Dominikanischen Republik, hat er durch seinen Roman geradezu ein Stück Identität wiedergegeben, auch wenn das nie seine Absicht gewesen sei. Denn Oscar Wao ist nicht lediglich die tragikomisch Emanzipationsgeschichte eines Schuljungen. „Das kurze wundersame Leben“ ist ein Roman über extreme Gewalterfahrungen. Der Romantext ist durch Fußnoten ergänzt, in denen die Geschichte der Dominikanischen Republik geschildert wird. „Erst war ich skeptisch gegenüber einem Manuskript mit Verweisen“, sagte Moderator Hans Jürgen Balmes, internationaler Programmleiter beim Fischer Verlag. „Dann aber hat mich die Vergangenheit des karibischen Inselstaates schockiert und ich habe die Notwendigkeit der Fußnoten verstanden.“ Vor allem El Jefe Trujillo regierte als Diktator von 1930 bis 1961 sein Land mit brutaler Härte, ließ Menschen foltern, ermorden und „verschwinden“. „Die Fußnoten haben eine ähnliche Funktion wie die Einwände des Hofnarren in Shakespeares King Lear, der den Leser als Stimme der Vernunft mit der bitteren Wahrheit konfrontiert“, so Díaz. In einer kompromisslos abschätzigen Sprache klagt der Autor die „Fickfresse“ Trujillo an, der ein „korpulenter, sadistischer und schweinsäugiger“ Massenmörder sei.

„Natürlich ist es wichtig, dass die Dominikanische Republik international wahrgenommen wird.“ Die Geschichtsaufarbeitung in der Karibik läuft schleppend und die Öffentlichkeit ist über die Menschenrechtsverletzungen während der Diktaturen kaum informiert. Trotzdem habe er seinen Roman nicht aus politischen Gründen geschrieben, sich nie als „Sprachrohr der Stimmlosen“ definieren wollen. Es gebe in Oscar Wao „the body of the story“ und es gebe die Fußnoten, denen käme aber nur die zweite Partitur zu: „Der Körper des Romans ist nun mal die Fiktion.“ Sie dreht sich um das Phänomen des Nerd, der durch Fast-Food und ständigen Fernsehkonsum sein Leben lahmlegt. Es ist ein Phänomen der modernen Konsumgesellschaft. Nerds, so Díaz, Nerds gebe es doch überall. „Im Grund genommen ist jeder von uns einer. Man muss nur einmal in sich hineinschauen.“

SASKIA VOGEL