IN BRASILIEN IST DER NEOLIBERALISMUS REGIERUNGSPROGRAMM
: Lula entsorgt die Linke

Brasiliens Linke ist um eine Hoffnung ärmer. Mit der Freigabe des Gensoja-Anbaus hat Präsident Lula in aller Deutlichkeit demonstriert, dass er nicht gewillt ist, sich mit dem Agrobusiness anzulegen. Sein Umgang mit der jahrelang schwelenden Gensoja-Kontroverse ist ein Lehrstück in Sachen brasilianischer Machtpolitik: Durch Taktieren schafft sich Lula jene Sachzwänge, mit denen er schließlich sein eigenes Parteiprogramm aushebeln kann.

Mit Hilfe seines Chefstrategen José Dirceu gelang es ihm, die Debatte um Sinn und Unsinn der Gensoja-Freigabe so lange auf Sparflamme zu halten, bis er sich vor einer Woche auf eine Auslandsreise begab. Im öffentlichen Diskurs hatte er sich zuletzt sogar die Rhetorik der Gentechlobby zu Eigen gemacht: Nicht von ideologischen, sondern von wissenschaftlichen Kriterien wolle er sich bei seiner Entscheidung leiten lassen, verkündete er.

Erst nach dem Zögern von Vizepräsident José Alencar, das umstrittene Dekret zur Freigabe zu unterzeichnen, kamen Umwelt- und Verbraucherschützer, Landlose, Wissenschaftler, Juristen, kritische Parteifreunde und vor allem Umweltministerin Marina Silva aus der Defensive. Aber da war der Kampf bereits entschieden – zugunsten von Monsanto und den Bauern aus Südbrasilien, die für ihren jahrelangen Einsatz von geschmuggeltem Saatgut sogar noch belohnt wurden. Mit Leitartikeln und gezielt lückenhafter Berichterstattung setzten sämtliche großen Medien die Regierung zusätzlich unter Druck. Erst jetzt, nachdem die Würfel gefallen sind, werden die Argumente der Gensoja-Gegner weniger verkürzt und verzerrt wiedergegeben.

Der Abbau der sozialen Schieflage sollte ebenso wie die Umweltpolitik zu einer Querschnittsaufgabe werden, hatte der Präsident vor seiner Wahl versichert. Doch davon ist bislang nichts zu spüren. Vielmehr ist die neoliberale Orthodoxie zum roten Faden seiner Regierungsführung geworden. Anders als etwa sein argentinischer Kollege Néstor Kirchner geht Lula in vorauseilendem Gehorsam sogar über die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds hinaus. Der Bedienung der Auslandsschulden opfert er die nötigen Strukturreformen im Agrar-, Bildungs- oder Gesundheitsbereich.

Nicht in ihre soziale Agenda steckt die Regierung die meiste Energie, sondern in zweifelhafte Renten- und Steuerreformen, die sie zum Ausbau ihrer Allianzen mit dem bürgerlichen Lager nutzt. Parallel dazu setzt Lula seine immer noch hohe Glaubwürdigkeit ein, um die eigene Basis zu vertrösten. Das Fazit aus dem Gensoja-Desaster lautet: Will die Linke nicht endgültig marginalisiert werden, muss sie bald aufmucken. GERHARD DILGER