Brasilien verzichtet auf gentechnikfreie Soja

Bislang war das Land gefragter Lieferant für gentechfreie Ware an die EU. Doch jetzt gibt man den Gensoja-Anbau frei

PORTO ALEGRE taz ■ Brasilien hat sich dem Druck der Sojabauern aus dem südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul gebeugt und den Anbau von gentechnisch verändertem Soja zunächst für ein Jahr erlaubt. Präsident Lula ist bereits seit Wochen zur Freigabe entschlossen, überließ aber die Unterzeichnung des Dekrets seinem Stellvertreter José Alencar. Als der sich beeindruckt zeigte von Einwänden von Umweltschützern und einigen Abgeordneten der Arbeiterpartei PT, wies ihn Lula schließlich telefonisch an, das Dekret abzuzeichnen.

Vor seiner Wahl 2002 hatte Lula noch die Risiken für Umwelt und Gesundheit schwerer eingeschätzt als der wirtschaftliche Nutzen der manipulierten Sojabohne. 1998 hatten Greenpeace und der Verbraucherverband Idec erreicht, dass ein Bundesgericht den Anbau der Gensoja untersagte. Doch die Zentralregierung duldete es, dass in Südbrasilien immer mehr Landwirte argentinisches Gensaatgut einschmuggelten. Die Bauern, darunter viele Familienbetriebe, begründen dies mit bis zu ein Drittel geringeren Anbaukosten.

Diese Rechnung ging jedoch nur auf, solange der Anbau offiziell nicht erlaubt war. Jetzt aber kann der US-Multi Monsanto, der neben dem Saatgut auch das dazu maßgeschneiderte Herbizid liefert, von den Bauern Lizenzgebühren kassieren – nach amtlichen Schätzungen allein aus Rio Grande do Sul bis zu 300 Millionen US-Dollar pro Jahr.

Brasilien ist derzeit größter Sojaexporteur, und gut 90 Prozent der diesjährigen Produktion von 43 Millionen Tonnen besteht aus konventionellen Sorten. Nun drohen Absatzeinbußen, da das brasilianische Gensoja künftig mit den subventionierten US-Bohnen konkurrieren muss. Vor allem die Europäer waren bisher dankbare Abnehmer von Bohnen, Schrot und Öl aus konventionellem Soja-Anbau.

Besonders bittere Kritik äußerten Lulas Genossen von der Arbeiterpartei PT: „Nun sind die Schleusen für die Gentechnik geöffnet“, sagt Elvino Bohn Gass. Nach der „ausnahmsweisen“ Genehmigung zur Vermarktung der letzten Gen-Ernte im März habe die Regierung nichts getan, um wieder auf herkömmliche Sorten umzustellen.

In dem Dekret ist weder eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfungen vorgesehen noch eine klare Regelung der Kennzeichnungspflicht. Gescheitert ist damit auch die Umweltministerin Marina Silva. Doch sie lässt nicht locker: In dem Gesetzentwurf, den die Regierung demnächst zur umfassenden Regelung der „Biosicherheit“ vorlegen muss, sieht Silva die Chance zu einem neuen Prozess: „Unsere Gesetze darf man doch nicht dem Willen einer Firma und einer Technologie unterordnen.“ GERHARD DILGER