Die Frisur hält


von STEFAN KUZMANY

Dieter Grönling ist natürlich einverstanden. Klar gibt er ein Interview, gern. Zwar hat er gerade noch geschimpft, hat eine „Ekelzulage“ gefordert, weil er, der verdiente Mitarbeiter der Wahrheit-Seite, heute eine Kolumne von Georg Gafron, dem Ex-Chef des Berliner Springer-Blattes BZ, in die taz heben musste („Ich mag die Frauenbewegung vor allem, wenn sie rhythmisch ist“). Aber jetzt steht ein Fernsehteam vor ihm, und Dieter Grönling, von der Wahrheit als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen, wie sich jetzt im Scheinwerferlicht zeigt: keine schlechte Wahl, ein grau melierter Herr in den besten Jahren, setzt sich in Positur und lauscht der ersten Frage des Fernsehreporters, und diese, kann schon mal passieren an einem Tag wie diesem, lautet so: „Wie ist Ihr Verhältnis zur taz, Herr Boenisch?“

Peter Boenisch in der taz, Rudolf Scharping, Jörg Schönbohm, Jürgen Fliege auch, dazu Gabi Zimmer, Peter Strieder, Eberhard Diepgen, Hans Mahr und später auch noch Guido Westerwelle und Hans-Olaf Henkel: Die „Lieblingsfeinde“ der tageszeitung sind gekommen, für einen Tag die Redaktion zu übernehmen. Vor allen anderen aber: Kai Diekmann, Bild-Chefredakteur. Hätte er nicht gerufen, es wären kaum so viele prominente Gäste erschienen zum 25. Jubiläum der taz-Erstausgabe, zur Produktion der „Feindes-taz“.

Die Rudi-Dutschke-Plakette unten am Eingang hat Diekmann keines Blickes gewürdigt, Henry Budziarek hat’s genau gesehen. Normalerweise ist Henry für die Beschwerden von Abonnenten zuständig, jetzt steht er unten vor der grünen Tür des taz-Gebäudes und hält Ausschau nach Feinden. Manche in der taz hatten heute ein wenig Angst vor ihm. Henry, blonder Schopf, schiefer Blick und immer als Schnellster mit einem schnoddrigen Kommentar zur Stelle, Henry könnte vielleicht einen Farbbeutel werfen, auf Diepgen etwa, oder mit einer spitzen Bemerkung die empfindlichen Gäste vertreiben. Aber Henry ist so brav wie nie. Einen 1-A-Maßanzug habe Diekmann da an, bemerkt der Kenner. Ja, gut sehen sie aus, die Feinde, „erhöhte Anzugdichte“, sagt man bei der taz, braun gebrannt allesamt, bestens frisiert, gute Laune versprühend, vielleicht deswegen auch: offensichtlich fremd.

Rudolf Scharping zum Beispiel. Er raucht Kette. Wie so oft hat er ein entrücktes Grinsen aufgesetzt, jetzt nippt er an seinem Kaffee, gerade kümmert sich niemand um ihn, macht ja nix, denn er hat sich den Platz am Kopfende der Redaktionsversammlung schon gesichert, er weiß, hier werden gleich die entscheidenden Bilder gemacht, die später im Fernsehen zu sehen sind. Danach muss er sofort weg, in den Bundestag, die rot-grüne Mehrheit sichern helfen. Später wird es in den Nachrichten heißen, er habe die Sportredaktion übernommen. Hat funktioniert.

So einfach kommen die anderen nicht davon. Peter Boenisch, heute Alterspräsident der provisorischen taz-Redaktion, ernennt Kai Diekmann per Zuruf zum Chef („Gegenvorschläge? Keine? Dann gilt das so als beschlossen“), und das bedeutet: Er hat viel zu tun. Aus dem Springer Verlag haben sie vorher angerufen: Man solle sich nicht wundern, wenn der Chef mal, wie soll man sagen, ausfällig wird. Diekmann weiß: Er darf sich nicht blamieren. Bild macht taz. Die Sache muss klappen.

Die taz-Redakteure beobachten die Bild-Kollegen und ihren Gebieter bei der Arbeit. So zackig läuft die Produktion in der taz nicht immer, aber auch nie so befehlsorientiert. Diekmann, der offenbar schon weit im Vorfeld die gesamte Ausgabe nach seinen Vorstellungen durchgeplant hat, stellt seine Themen vor. Es gibt keinen Widerspruch. Nur zwei-, dreimal traut sich Jürgen Fliege, Kritik einzuwerfen oder gemeinsames Nachdenken einzufordern. Er wird freundlich übergangen. Diekmann diktiert: zwei Seiten Kohl-Interview, Scharping über Radfahren, Porträt über Bascha Mika, als Autorin hätte er gerne Alice Schwarzer, wer ruft die Alice an? Ich, ruft einer seiner mitgebrachten Bild-Männer, sofort die Rückmeldung, Alice kann nicht schreiben, dann sucht Ersatz! Sie suchen. Diekmann diktiert weiter: Warum Windkrafträder Geldmaschinen sind auf der Wirtschaft, Inland: der Grüne, der Fußgängern Prügel angedroht hat, Diekmanns Handy klingelt, er will jetzt nicht rangehen, wirft das Gerät in hohem Bogen durch den Raum, ein geschulter Mitarbeiter fängt es, beeindruckendes Kunststück. Die tazler merken auf, so etwas gibt es hier sonst nicht. Hier wird diskutiert und gemeinsam entschieden.

Es ist schon beeindruckend, dieser gut geschmierten Maschine zuzusehen, die sonst die Bild-Zeitung produziert und heute die taz. Es ist auch lehrreich, denn es erklärt, wie Bild funktioniert. Dass Bild nur so funktionieren kann. Alles geht schnell. Es gibt keine Widerrede. Die Untergebenen tun das, was der Chef sagt. Sie scheinen nicht darüber nachzudenken, ob seine Anweisungen richtig sind oder falsch, ehrenhaft oder verwerflich, sie machen einfach. Und sie machen schnell. Manche tazler gewöhnen sich überraschend leicht an den neuen Arbeitsstil. Diekmann agiert dabei wie ein großer kleiner Junge. „In welchem Jahr haben Sie Ihr erstes Kohl-Interview gemacht?“, will eine Mitarbeiterin wissen. Sie braucht die Information für eine Bildunterzeile. Diekmann weiß es nicht gleich. Obwohl an diesem Tag eine wunderbare Arbeitsbeziehung begann. Er war 16 und Schülerzeitungsredakteur, so viel ist klar. Aber war das 1980 oder schon 81? Diekmann rudert mit den Armen, es fällt ihm nicht ein, er hüpft auf und ab, vor und zurück, die Frisur hält, er tänzelt, es kommt nicht, er formuliert um: Man muss ohne Jahreszahl auskommen. „Ist das gut? Ist doch gut!“, sagt er, mehr zu sich selbst. Er sagt das sehr oft an diesem Tag. Und weiter zur nächsten Aufgabe.

In der Nachrichtenredaktion sitzt taz-Redakteur Oliver Pohlisch und reibt sich die Augen. Es ist etwas viel auf einmal heute. Zuerst dieser Fliege, der da ständig salbadernd durch die Räume schleicht, der Leibhaftige in unserer Mitte. Und jetzt kommt auch noch Guido Westerwelle, gefolgt von einem Pulk Kamerateams. Gerade ist niemand da, der ihn begrüßen könnte, also schreitet Westerwelle schnell durch die Räume und schüttelt jedem die Hand, dessen er habhaft wird. Er will einen Text über den Maler Norbert Bisky beisteuern und darüber, wie körperfeindlich doch die Linken sind.

Wollen wir doch mal sehen, denkt sich ein taz-Redakteur und lädt Westerwelle ein zum Rundgang durch das taz-Haus, sechs Stockwerke, im Laufschritt. Immer wieder bleibt Westerwelle auf der Treppe stehen und gibt leicht keuchend Statements fürs Fernsehen ab.

Im Bundestag wird es jetzt spannend. Die Gesundheitsreform ist mit großer Mehrheit angenommen, so viel ist sicher, aber ob Rot-Grün eine eigene Mehrheit zustande gebracht hat, ob Schröder also Kanzler bleibt, denn damit hatte er diese Entscheidung angeblich verknüpft, das weiß zu diesem Zeitpunkt niemand. Die ersten Nachrichten kommen per Handy. „Eigene Mehrheit für Rot-Grün!“, ruft jemand in den Raum. „Woher kommt die Information?“, will Diekmann wissen. „Von Bela Anda!“, kommt die Antwort. Immerhin der Regierungssprecher. „Vergessen Sie Anda, der kommt von Bild!“, sagt Diekmann da.

Später sucht er Bilder für die Illustration von Westerwelles Kunst-Artikel heraus. Es werden drei Bilder mit kaum bekleideten Knaben. Über dem Text steht später: „Verliebte Jungs“ – „Sie verstehen, worauf ich hinauswill“, sagt Diekmann und grinst.

Am Abend – die Ausgabe ist in Druck, ein Kraftakt, aber es hat geklappt – öffnet Wahrheit-Redakteur Michael Ringel sein erstes Bier des Abends. Er war bei der taz verantwortlich für die Organisation der feindlichen Übernahme. Erleichtert sieht er aus. Ja, sympathisch seien die schon alle, meint Ringel. „Aber man sollte nicht vergessen, was die für eine Zeitung machen.“