Die verschwundenen Leichen der IRA

Irlands Polizei sucht nach heimlich verscharrten Opfern der nordirischen Untergrundorganisation aus den 70er-Jahren

DUBLIN taz ■ Irlands Polizei hat die Suche nach der Leiche von Columba McVeigh eingestellt. Zehn Tage lang hatten die Beamten bis zum Wochenende im Moor der Grafschaft Monaghan an der inneririschen Grenze nach dem IRA-Opfer gesucht. Der 17-jährige McVeigh war 1975 von der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) entführt, ermordet und irgendwo verscharrt worden, offiziell gab die Organisation das aber erst 1999 zu. Eine erste Suche vor vier Jahren erbrachte trotz der IRA-Hinweise kein Ergebnis, und auch jetzt wurde man nicht fündig, obwohl ein IRA-Mann Informationen geliefert hatte.

Für eine andere Familie hat das Warten nach 31 Jahren ein Ende. Die irische Polizei barg Anfang des Monats am Shelling-Hill-Strand nahe der nordirischen Grenze ein menschliches Skelett. Es war in einem flachen, nur 30 Zemtimeter tiefen Grab versteckt. Ein Spaziergänger war darauf gestoßen. Erste Untersuchungen ergaben, dass es sich um die Leiche einer Frau handelt, die durch einen Kopfschuss getötet worden war. Der 41-jährige Michael McConville hat inzwischen die synthetische Strickjacke identifiziert, die bei der Leiche gefunden wurde: Sie habe seiner Mutter gehört.

Als Jean McConville verschwand, war Michael zehn Jahre alt. Die Mutter von zehn Kindern wurde Weihnachten 1972 von der IRA getötet, weil sie einem sterbenden britischen Soldaten nach einem IRA-Anschlag ein Gebet ins Ohr geflüstert haben soll, sagt McConvilles Familie. Wahrscheinlich hat man sie aber umgebracht, weil die IRA sie verdächtigte, Informationen an die britische Armee weitergegeben zu haben. Ihre Leiche wurde danach nie gefunden.

Jean McConville, die heute 68 Jahre alt wäre, gehört zu den dreizehn Menschen, die Anfang der Siebzigerjahre von der IRA ermordet und an geheimen Orten vergraben worden sind. Diese „Verschwundenen“ sind eins der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der IRA.

Eigentlich galt es im nordirischen Konflikt als ungeschriebenes Gesetz, dass Beerdigungen respektiert werden. Doch in den dreizehn Fällen wurden den Verwandten nicht nur die Leichen vorenthalten – die Hinterbliebenen wurden von der IRA auch belogen. Jean McConville sei mit einem britischen Soldaten durchgebrannt, erklärte die IRA damals.

Erst im März 1999 bei den Verhandlungen um die Ausmusterung der Waffen willigte die IRA ein, über den Verbleib der „Verschwundenen“ Auskunft zu geben. Die Regierungen in London und Dublin versprachen, keine forensischen Untersuchungen an den Leichen oder ihren Fundorten durchzuführen, die zur Ergreifung der Täter führen könnten. Danach veröffentlichte die IRA eine Liste mit neun Namen und den Orten, an denen sie begraben waren. Vier wurden damals gefunden; aber die Süd-Armagh-Brigade der IRA, die für vier weitere der „Verschwundenen“ verantwortlich war, verweigerte die Angaben.

Jean McConville sei am Templetown-Strand verscharrt worden, erklärte die IRA. Nach monatelangen Sucharbeiten, an denen die Kinder, Enkel und Urenkel von Jean McConville teilnahmen, blies die Polizei 1999 aber die Suche ergebnislos ab. Die Beamten waren nahe dran: Der Strand von Shelling Hill, wo die Leiche jetzt auftauchte, liegt nur einen Steinwurf von Templetown entfernt. „Die letzten 31 Jahre waren die Hölle“, sagte Michael McConville. „Ich hatte fast nicht mehr damit gerechnet, dass das Grab jemals gefunden würde.“

Bis die Leiche durch DNA-Analysen einwandfrei identifiziert ist, können zwei Monate vergehen. Doch Michael McConville ist sich sicher, dass es sich um seine Mutter handelt. „Der Albtraum hat endlich ein Ende“, sagte er. „Jetzt können wir sie endlich anständig beerdigen.“

RALF SOTSCHECK