: Richtig verbunden
Mit seinem neuen Album „Radikal Connector“ hat sich das Köln-Düsseldorfer Elektronik-Duo Mouse On Mars neu erfunden. Der schwere Dekonstruktionsfelsen ist beiseite gerollt. Nun filtern die beiden ihre Sounds so, als wollten sie Gedichte schreiben
VON TOBIAS RAPP
Aus der Ferne kommen sie einem immer noch vor wie die Neuen Menschen – Jan Werner und Andi Thoma, besser bekannt als Mouse On Mars. Nicht wie der alte Neue Mensch, dieser Raumfahrer, der für das Vaterland der Werktätigen die Weiten des Alls erkundete. Eher wie die blinden Passagiere eines Raumschiffs, die sich als Mäuse verkleidet im Frachtraum herumtrieben und den großen Crash überlebten, der das Gefährt an der Marsoberfläche zerschellen ließ. Leicht verstrahlt sitzen sie nun zwischen den Trümmern und sehen zu, was sich mit den Gerätschaften so anstellen lässt, die sie aus dem Wrack gerettet haben. Um sie herum rauscht und braust der Sphärenklang, und mit ihrer in ständigem Umbau befindlichen Sendestation singen und klingen Mouse On Mars mit. Vielleicht ist ja jemand auf Empfang.
Es geht um Musik, klar. Doch die Botschaft, die das Köln-Düsseldorfer Duo seit über zehn Jahren in die Welt hinausschickt und die zwischen London und New York genauso gerne gehört wird wie zwischen Belgrad und Istanbul oder Tokio und Berlin, transportiert noch einiges mehr: Lasst euch nicht für dumm verkaufen. Organisiert euch in selbstbestimmten Zusammenhängen. Schätzt die Nische, aber habt keine Angst vor Größe. Verliert die anderen nicht aus den Augen. Wagt das Experiment und lernt daraus, wenn es scheitert. Handelt die bestmöglichen Bedingungen aus. Kurz gesagt: Es geht auch anders.
Nun ist die Erkenntnis, dass es sich in Netzwerken besser lebt, nichts, worauf Mouse On Mars ein Patent anmelden könnten. Schon lange bevor die Musikindustrie in ihre Krise rutschte, organisierten sich viele Akteure jenes Feldes, das man sich der Einfachheit halber elektronische Musik zu nennen angewöhnt hat, unabhängig von industriellen Großstrukturen. Gerne um einen Plattenladen herum, an den noch ein Label und andere Unternehmungen angedockt werden konnten.
Doch wenn man mit Jan Werner, der einen Hälfte von Mouse on Mars, im Verkaufsraum des auf experimentelle Musik jeglicher Couleur spezialisierten Kölner Plattenladens a-musik herumsteht, muss man feststellen: Die Schlaufen des Netzwerks, das sich rund um Mouse On Mars gebildet hat, greifen auch in andere Felder. In den Hinterräumen werden nicht nur der Postversand des Ladens abgewickelt und die Geschäfte von Sonig, dem Plattenlabel der Band, betrieben. Hier sitzt auch der Supposé-Verlag, jene kleine und feine Kölner Firma, die Literatur- und Philosophie-CDs von Klaus Theweleit und Boris Groys bis zu Hubert Fichte und Heinz von Forster herausbringt.
„Musik entsteht immer aus einem Spannungsfeld heraus“, sagt Jan Werner später, am Esstisch im deckenlichtdurchfluteten Mouse-On-Mars-Studio in Düsseldorf. Es besteht aus einigen Räumen in einer ehemaligen Schnapsfabrik, die Werner und Thoma von einem befreundeten Künstler übernommen haben, dem sie als Atelier dienten. Die bildende Kunst bildet ein weiteres System, zu dem Mouse On Mars freundschaftliche Beziehungen unterhalten. Die Düsseldorfer Kunsthalle zeigte im Frühling mit „doku/fiction“ eine Ausstellung, zu der 30 Künstler eingeladen wurden, die Musik von Mouse On Mars zu remixen. Einzige Bedingung: Es sollte kein Sound generiert werden, der Remix sich ausschließlich in musikfremden Medien abspielen. Gut verdrahtet also, die beiden. Da passt auf den ersten Blick ins Bild, dass Mouse On Mars ihr wunderbares neues, mittlerweile achtes Album „Radikal Connector“ (Sonig/Rough Trade) genannt haben.
Ein solches Eingebettetsein kann allerdings auch etwas belastend haben. Erstaunlicherweise gibt das Duo unisono zu Protokoll, mit „doku/fiction“ auch einen Selbstzerstörungsversuch durchgespielt zu haben. „Die Ausstellung war so ein Versuch, sich komplett aufzulösen. Alles rauszugeben“, sagt Jan Werner, und Andi Thoma ergänzt: „Aber nichts ist an die Musik rangekommen. Man gibt alles raus, und was übrig bleibt, ist die Musik.“
Hört man sich „Radikal Connector“ an, so stellt man fest: Es hat ihr gut getan, die Auslagerung der massiven Bedeutungsproduktion, die sich mit einem erhöhten Bedürfnis zur Dekonstruktion des eigenen Tuns mächtig breit gemacht hatte auf den letzten Alben der Gruppe. Das hörte sich oft an, als sei die Musik vor allem die akustische Illustration zu all den hochkomplexen Artikeln, die das Erscheinen der Platten in den verschiedenen Musikzeitschriften der Welt begleiteten.
Hingetupft und luftig ist „Radical Connector“, als sei der dicke Dekonstruktionsfelsen weggerollt worden. „Wir fühlten uns so souverän wie selten. Fast wie am Anfang“, bestätigt Jan Werner, „nur nicht mehr so naiv, so ignorant. Man wird ja auch wieder mehr in Ruhe gelassen. Elektronische Musik ist nicht mehr das Ding. Alle Leute hören wieder Rock, das war alles sehr gut.“
Tatsächlich sinken die Aktien von Electronica, jenem merkwürdigen Genre, das auf Englisch gerne als „Dancemusic without Dance“ bezeichnet wird und als eine dessen erfolg- und einflussreichsten Gruppen Mouse On Mars immer gehandelt werden. Ein Künstler wie Richard D. James hat sich schon vor einiger Zeit von seinem Alter Ego Aphex Twin verabschiedet – aus gutem Grund, merkte man ihm doch sowohl seine Müdigkeit an, die immer gleichen musikalischen Muster zu reproduzieren, als auch sein Unvermögen, aus dieser selbst gebauten Zone fruchtloser Intensivierung wieder herauszufinden. Ganz ähnlich Matthew Herbert, der seine nachlassende Innovationskraft zwar etwas besser kaschiert. Aber ist es wirklich so aufregend, eine Platte einzuspielen, die auf Samples von Besuchern des diesjährigen Sonar Festivals basiert, die in einen Apfel beißen (nachdem er schon Platten herausgebracht hat, die auf gesampelten Körpergeräuschen oder raschelnden Mülltüten beruhten)? Was als Experiment begann, als große Übung in musikalischer Freiheit, hat seine Formen gefunden und ist einigermaßen erstarrt in den Routinen des einmal Entwickelten.
Ganz anders bei Mouse On Mars. Nachdem sie in zehn Jahren eine ganz eigene musikalischen Sprache entwickelt haben, in der sie mal flüsterten und summten, mal stammelten und schrien, mal gelehrte Abhandlungen verfassten oder verschlüsselte Erklärungen abgaben, kommt einem „Radical Connector“ mit seiner glänzenden Oberfläche und seinen Melodiefragmenten vor, als hätten sie nun angefangen, Gedichte zu schreiben. „Die Musik hat sich eigentlich gar nicht verändert“, sagt Andi Thoma, „sie ist nur anders gefiltert. Wir haben ein anderes Raster benutzt, um zu schauen, welche Steinchen durchfallen.“
Nun war es in den Neunzigern ja ein beliebtes Spiel, die Freiräume, die sich im Spiel mit all den Geräten zur Erzeugung elektronischer Klänge auftaten, als eminent politisch zu beschreiben. Wo die Grenzen zwischen Geräusch und Musik ins Wanken gerieten, da glaubte man gerne an den möglichen Zusammenbruch noch ganz anderer Hierarchien. Doch für Jan Werner ist dies eine Soundsignatur, die nur noch bedingt Geltung beanspruchen kann. „Das war alles sehr romantisch, diese politische Idee im Zusammenhang mit elektronischer Musik. Eine romantische Phase, die heute nicht mehr viel Sinn macht. Natürlich ist unsere Musik politisch, weil sie einem anarchistisch-humanistischen Bedürfnis nach Entfaltung des Individuums entspringt, das man jedem zusprechen möchte. Klar sind das Fragen, die man sich stellt: Braucht man Referenzen, um sich zu identifizieren, oder spielt man damit. Aber Politik? Die möchte man eigentlich lieber abgeben. Kann man ja leider nicht.“
Kann man tatsächlich nicht, möchte man sich einigermaßen zielgerichtet durch das Trümmerfeld bewegen, dass die zahllosen abgestürzten Raumschiffe der vergangenen fünfzehn Jahre hinterlassen haben. Der alte Neue Mensch erinnerte immer ein wenig an den Scheinriesen aus Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“: Je weiter man sich von ihm entfernte, desto größer wurde er. Je näher man ihm kam, desto mehr schrumpfte er auf menschliches Maß. Einsam stand er auf seinem Felsen, hielt eine Laterne in der Hand und wies Reisenden den Weg. Sitzt man den neuen Neuen Menschen gegenüber, wirken sie um keinen Deut kleiner als aus der Ferne. Auch eine Laterne haben sie nicht. Nach dem richtigen Weg suchen sie selbst, man kann ihnen folgen oder auch nicht. Im Grunde sind sie wie du und ich. Genau deshalb kommen sie einem auch vor wie die Neuen Menschen.
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