Richtungs- und Rollenwechsel

Körper tanzend Konventionen überschreiten lassen: Das dritte Internationale Queer Tango Argentino Festival

Herz, Schmerz, Leidenschaft – kaum ein Tanz verfügt über ein derartiges Repertoire an Stereotypisierungen wie der Tango Argentino. „Der traurige Gedanke, der getanzt werden kann“ (Discépolos) gilt als klassische Inszenierung des „Geschlechterkampfes“, als Darstellung eines erotischen Spiels, in dem Verlangen und Hingabe, Dominanz und Unterwerfung sich eindeutig den Geschlechtern zuordnen lassen. Der Mann führt, die Frau folgt: Er überblickt den Raum, gibt Richtung und Tempo vor, sie nimmt den Impuls auf und „verziert“ kunstvoll – so lautet die althergebrachte Rezeptur. Doch müssen sich Körper in den überlieferten Bahnen bewegen oder können sie ausbrechen, sich auf ein neues Spiel einlassen?

Wer die Geschichte des Tango Argentino verfolgt, wird zahlreiche Brüche in seiner scheinbar monolithischen Geschlechterordnung entdecken. Von Anfang an begleiteten homoerotische Praktiken seine Entstehung, tanzten Männer mit Männern und Frauen mit Frauen – oftmals unter dem Deckmantel eines vorgeblichen Frauen- oder Männermangels. Auch InterpretInnen verwiesen in ihrer Inszenierung auf homosexuelle Subkulturen, wie die Tangoforscherin Magali Saikin herausstellt. So habe sich beispielsweise Azucena Manzani, eine bekannte Musikerin, in männlicher Kleidung präsentiert – eine klare Überschreitung üblicher Geschlechterkonventionen. Dass jedoch Beschreibungen wie „Die Frau hat die Augen geschlossen. Sie wirkt blass, zerbrechlich. Ihr Kopf lehnt an der Schulter des Mannes“ (www.abenteuerreisen.de) angefochten werden, liegt nicht allein an anderen Geschlechterkombinationen auf der Tanzfläche. Auch dasjenige, was zwischen zweien passiert, kann anders erspürt und ertanzt werden.

Gelegenheit dazu gibt das Internationale Queer Tango Argentino Festival, das jetzt zum dritten Mal in Hamburg stattfindet. Dort ist die Tanzfläche nicht nur für alle erdenklichen Geschlechterkombinationen offen, sondern es können auch andere Tanzkonzepte erprobt werden. „Kreuz und queer“ heißt da ein Workshop, in dem das Prinzip des Führens und Folgens hinterfragt werden soll. Durch Richtungs- und Rollenwechsel kann eine andere Körpererfahrung gemacht werden, in der auch jene Vorstellungen hinterfragt werden, die sich in den Konzepten von Weiblichkeit und Männlichkeit verbergen. Das Bild der „blassen, zerbrechlichen“ Frau könnte so in all ihrer Blutarmut und ihrem Unterstützungsbedarf zu Fall gebracht vom Parkett verschwinden. Der argentinische Schriftsteller Borges kam zu dem Schluss, der Tango zeige, „dass der Kampf der Geschlechter ein Fest sein kann“. Hoffnungsvollerweise kann auch seine Dekonstruktion ein Festival sein. DORO WIESE

3.–5.10.; Infos unter www.queer-tango.de sowie am 3.10., 11–14 Uhr, Info-Café Baladin, Stresemannstr. 374