An der Schwelle der Nachweisbarkeit

Luigi Nonos „Prometeo“, eine hochkomplexe „Tragödie des Hörens“, wird am Wochenende beim letzten Hamburger Musikfest unter dem Dirigat Ingo Metzmachers gleich zweimal aufgeführt: Ein Mythos der Moderne wider Willen

„Ändere die Welt, sie hat es nötig.“ Bert Brechts Maxime – die er, wie so vieles, bei einem Kollegen „geborgt“ hat –, könnte auch über dem Oeuvre von Luigi Nono stehen. Seit 1952 war Nono Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens, und zusammen mit Musikern wie Claudio Abbado und Mauricio Pollini entwarf er ein Projekt unter dem Ästhetisches und Gesellschaftliches demonstrativ verbindenden Titel „Musica/Realtà“.

Im Bewusstsein des Gramsci-belesenen Nono war Kunst nie selbstgenügsames L‘art pour l‘art; sie verkümmerte aber auch nie zur Klassikermumifizierung und Volksliedbesessenheit. Musikalische Neulanderoberung und gesellschaftlicher Fortschritt sollten Hand in Hand gehen – so weit die Theorie. Die Praxis zwang zu Kurswechseln. Seine 1975 vollendete Oper Al gran sole carico d‘amore über gescheiterte Aufstände (Paris 1871, St. Petersburg 1905, Turin 1953), bezeichnete er rückblickend als einen „Elefanten der Mittel“. Nono vollzog in den 80ern also eine Wende ins Stille, Esoterische, Intime, die viele seiner Anhänger enttäuschte. Zu Unrecht, denn Prometheus, den Protagonisten von Nonos letzter Schaffensphase – das Werk rahmt am Freitag und Sonnabend das Hamburger Musikfest – hatte Marx als „den vornehmsten Heiligen und Märtyrer im philosophischen Kalender“ bezeichnet.

Nono wird die Mischung aus Lob und Ironie nicht entgangen sein. Sein Prometeo greift zwar auf die Figur jenes weltverändernden Kulturbringers zurück, der seit über 2.000 Jahren der mythische Inbegriff des Fortschritts ist. Mythen, Märtyrer und Heilige waren seine Sache allerdings nie, und so komponierte er mit seiner „Tragödie des Hörens“ 1984 ein Werk, das den antiken Mythos auf seine Idee reduziert, und gerade nicht die alte Story in herkömmlicher Theaterkulisse fortschreibt.

Kurioserweise wurde der Prometeo trotzdem zu einem Mythos der Moderne. Eine Handlung oder eine Szene gibt es hier nicht mehr, beides ist komplett ins Hören verlegt. Das Libretto ist literarisch ebenso ambitioniert wie unverständlich, die Partitur können nur Nonos ehemalige Mitarbeiter lesen, und die Klänge kommen brüchig und elektronisch verwandelt ohne erkennbare Ordnung aus allen Ecken des Saales. Über zwei Stunden Musik, Hochgebirge geistigen Anspruchs, Wüsten der Langeweile, Oasen zartester Klangerlebnisse.

In Nonos Prometeo, der von Ingo Metzmacher jetzt erstmals in Hamburg aufgeführt wird, muss jeder Hörer sein eigener Prometheus sein. Es ist eine klingende Experimentalsituation für Suchende; Gesetze seines Funktionierens zu finden, ist diesem Rätselwerk als Herausforderung an die Zukunft einkomponiert. Auch wenn das Hamburger Musikfest 2004, um der Prominenz des Prometheus in seinem Programm willen, unter dem volltönenden Motto „Auflehnung“ steht: Die Botschaft von Nonos Pianissimomusik ist unendlich viel feiner. Nonos Hoffnung gründete sich in seiner letzten Lebensphase auf die von Walter Benjamin beschworene “schwache messianische Kraft“. Die aber liegt für gewöhnlich knapp an der Nachweisschwelle, von ihr bleibt, wie es im Libretto heißt, gerade so viel, wie in den Stimmen das Echo vergangener Stillen. Ilja Stephan

„Prometeo“: Fr, 10.9., 21 Uhr sowie Sa, 11.9., 19 Uhr, Musikhalle. Info unter www.hamburger-musikfest.de