Politische Leichenfledderei nach dem Blutbad

Massaker an 163 kongolesischen Banyamulenge-Flüchtlingen in Burundi entzweit UNO und Menschenrechtler

BERLIN taz ■ Wer ist verantwortlich für das Massaker an Banyamulenge-Flüchtlingen aus der Demokratischen Republik Kongo in Burundi, bei dem in der Nacht vom 13. zum 14. August 163 Menschen ermordet wurden? Knapp einen Monat nach dem Blutbad im burundischen Flüchtlingslager Gatumba, wenige Kilometer von der Grenze zum Kongo entfernt, entwickelt sich ein Streit darüber zwischen der UNO und der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Kurz nach der Tat hatte sich Burundis Hutu-Rebellenbewegung FNL (Nationale Befreiungsfront) zu dem Massaker bekannt. Überlebende Banyamulenge-Flüchtlinge – Tutsi, die zur ruandischstämmigen Minderheit im Ostkongo gehören und im Juni vor Kämpfen dort nach Burundi geflohen waren – machten jedoch eine aus dem Kongo eingedrungene Truppe verantwortlich. Zu ihr hätten neben FNL-Kämpfern auch ostkongolesische Mayi-Mayi-Milizionäre sowie im Kongo basierte ruandische Hutu-Kämpfer gehört.

Eine vorläufige UN-Untersuchung, deren Ergebnisse Ende letzter Woche dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt wurden, bestätigt die Aussagen der Überlebenden und spricht von 90 Angreifern aus allen drei Gruppen. Bereits am 30. August sagte UN-Generalsekretär Kofi Annan dem Sicherheitsrat: „Augenzeugen haben ausgesagt, dass die FNL ein nahes Armeelager angriff, während kongolesische und ruandische Elemente das Gatumba-Massaker begingen.“

Human Rights Watch (HRW) widerspricht dem. In einem gestern veröffentlichten Bericht sagt die Organisation, dass die FNL verantwortlich für das Massaker sei, da die meisten Angreifer Burundisch gesprochen hätten und es keine Beweise für andere Täter gebe. Der von der Ruanda-Expertin von HRW, Alison Des Forges, verfasste Bericht schenkt anderslautenden Schilderungen von Überlebenden wenig Glauben und spricht von „kontrollierten Zeugenaussagen“. Eine weitere HRW-Expertin sagte der taz sogar, es gebe keine Beweise dafür, dass die Täter aus dem Kongo gekommen seien und sich wieder dorthin zurückgezogen hätten – obwohl dies alle anderen Quellen bestätigen.

Die Kontroverse ist hochpolitisch. Wegen der Mutmaßung einer kongolesischen Mittäterschaft führte das Massaker von Gatumba im Kongo zu einer schweren politischen Krise und Kriegsangst. Aber wenn das Massaker auf das Konto der FNL geht, ist es eine innerburundische Angelegenheit, und die Banyamulenge haben kein Recht, daraus politische Forderungen im Kongo abzuleiten.

Die HRW-Version stößt bei von der taz befragten Beobachtern im Ostkongo auf Unverständnis – vor allem, da die Menschenrechtsorganisation keine Recherchen im Kongo durchführte, sondern nur in Burundi. So geht sie nicht darauf ein, dass Überlebende aus Gatumba sogar Namen nennen: Der ostkongolesische Mayi-Mayi-Milizenkommandant Ekofo habe den Angriff geleitet. Entsprechende Aussagen gibt es auch von einem in Burundi inhaftierten Täter, demzufolge Ekofo burundische FNL-Kämpfer rekrutierte. Ekofo liegt inzwischen mit Schusswunden in einem Krankenhaus im ostkongolesischen Bukavu.

Im Lichte der Kontroverse macht die UNO jetzt einen Rückzieher. Eine neue Untersuchung durch die politischen Abteilungen der UN-Missionen in Kongo und Burundi ist im Gange. Manche ihrer Verantwortlichen neigen der allen Beweisen widersprechenden These zu, dass Ruanda das Massaker angeordnet habe, um einen Vorwand zum Eingreifen im Kongo zu bekommen. Mit dieser Verschwörungstheorie wird das Massaker von Gatumba zum politischen Spielball. DOMINIC JOHNSON