Polit-Popstar beim Demomarathon

Gysi reist von Stadt zu Stadt und begeistert Hartz-IV-Gegner. Immer mehr Prominente nutzen die Montagsproteste als Bühne für Regierungskritik. Unterdessen streiten Initiatoren und Beobachter, ob die Proteste zunehmen oder allmählich abebben

AUS MAGDEBURG SASCHA TEGTMEIER

Ein Rockstar könnte sich kein besseres Publikum wünschen: Die Magdeburger johlen, jauchzen und klatschen rhythmisch. Gregor Gysi begeistert seine Zuhörer, die sich am Montag auf dem Domplatz versammelt haben, gegen die Politik der Regierung zu demonstrieren. Der kleine Mann mit der roten Krawatte thront bei Sonnenuntergang auf einer Bühne vor dem Dom.

„Es gibt keinen Ost-West-Konflikt. Es gibt einen Konflikt zwischen Oben und Unten, zwischen Arm und Reich“, ruft Gysi – zum mindestens dritten Mal an diesem Montag. Denn Gysi hat ein Montagsdemo-Marathon durch Sachsen-Anhalt hinter sich: Er düste im Audi in das 16.000-Seelen-Städtchen Hettstedt und über Dessau in die Landeshauptstadt Magdeburg, die der Höhepunkt sein sollte – obwohl der Protest hier abgenommen hat. Vor wenigen Wochen noch war der Domplatz von 15.000 Demonstranten mehr als ausgefüllt, vorgestern war er gerade einmal halb voll.

Doch der Initiator der Magdebuger Demos, Andreas Ehrholdt, will von einem Abebben der Proteste nichts wissen. Es gäbe mittlerweile mehr Demos in der Umgebung und daher kämen nicht mehr so viele Leute nach Magdeburg, sagt er. Betrachtet man die Angaben der Polizei zu den Teilnehmerzahlen deutschlandweit, ist ein Schwächeln der Proteste tatsächlich nicht festzustellen. 75.000 Demonstranten haben die Beamten diese Woche gezählt – etwa so viele wie in der Woche zuvor. Die Globalisierungskritiker Attac haben jeweils doppelt so viele Menschen auf den deutschen Straßen gesehen.

Längst hat auch bei Journalisten und Politikern ein Zahlenspiel eingesetzt: Die einen sehen die Proteste gestärkt, andere prophezeien den Untergang. Tatsächlich haben in dieser Woche nur 40 Menschen im sächsischen Zwickau demonstriert, am Montag davor waren es noch 4.000. In Nordrhein-Westfalen hat sich die Zahl der Demonstranten jedoch im Vergleich zur Vorwoche auf 15.000 verdoppelt. Und auch in Berlin gab es einen leichten Zuwachs.

Ob der Protest nun abebbt oder nicht – zumindest zieht er immer mehr Prominente an. In der vergangenen Woche war es Oskar Lafontaine in Leipzig. Ein weiterer SPD-Linker, Ottmar Schreiner, forderte in dieser Woche vor 2.000 Demonstranten in Halle (Saale) die Rücknahme der Reform. Wolfgang Thierse warnte vor einer Radikalisierung der Proteste bei einer Podiumsdiskussion im Anschluss an die Leipziger Montagsdemo. Er sehe mit Sorge, „dass dort viel Hass und Wut dabei sind, die kein Ziel finden“, sagte er.

Die Prominenten Gysi und Lafontaine präsentierten sich populistisch bei den Kundgebungen und benutzen eine rhetorische Sandwich-Methode: einem konkreten, aber zahlenschweren Beispiel zu Hartz IV folgt eine lockere, eher moralisch-philosophische Aussage. Gysi sagte beispielsweise: „Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit –das muss man zusammendenken.“ Zudem garniert er seine Rede mit kleinen bissigen Anspielungen auf die sozialdemokratische Regierung. Wie ein Stand-up-Comedian murmelt er in die Lacher seines Protest-Publikums hinein.

Das kommt gut an. „Er spricht meine Sprache. Und er kann alles mit Fakten belegen“, sagt Ingrid Hahne, die von Anfang an bei den Demonstrationen dabei war.

Damit klare Gegenkonzepte zur Politik der Regierung in die Proteste kommen, hatte Andreas Ehrholdt neben Gysi auch Oskar Lafontaine nach Magdeburg eingeladen. Doch Lafontaine hat den Termin abgesagt – er habe sich bei seinem Auftritt in Leipzig erkältet. Vielleicht hat er aber auch nach der Wahl im Saarland kalte Füße bekommen.