Noch Ruhe im Krisengebiet

BERLIN/MOSKAU taz ■ Der Zugang in die Republik Nordossetien ist für westliche Journalisten nach wie vor begrenzt. Menschen aus der Region berichteten gestern, dass in Beslan noch immer Beerdigungen stattfinden. Alle Friedhöfe seien voll mit Menschen.

Viele Bürger aus anderen Teilen Ossetiens sind nach Beslan gekommen, um ihre dort lebenden Verwandten zu unterstützen. Sonst aber sei die Lage rein äußerlich normal. Sicherheitskräfte seien auf den Straßen nicht über ein gewohntes Maß hinaus präsent.

Bulat Fidarow, der Chefredakteur der Zeitung Rastdsinad, die in der Hauptstadt von Nordossetien Wladikawkas erscheint, berichtete der taz telefonisch: „Ich glaube nicht, dass irgendjemand hier Rache will. Die Leute glauben, dass tschetschenische Terroristen die Täter sind, verstehen aber, dass die Terroristen nichts mit dem tschetschenischen Volk zu tun haben.“ Der Unmut in Nordossetien, so berichtet Fidarow, richte sich auch gegen die Behörden: „Es gibt viele Menschen hier, die mit dem Vorgehen des Staates gar nicht zufrieden sind. Diese Menschen fragen: ‚Warum hat man uns nicht verteidigt?‘, und klagen: ‚Unser Staat kann uns nicht schützen!‘“

In der Nachbarrepublik Inguschetien sei es ebenfalls ruhig, meint Jekaterina Sokirianskaja von der Menschenrechtsorganisation Memorial im inguschetischen Nasran. Die Anspannung sei aber kaum zu ertragen. Die Bürger in Inguschetien warten bange auf die nächsten Tagen. „Was passiert, wenn in Beslan alle Opfer beerdigt sind“, meint Sokirianskaja. Wird der alte Hass der beiden Völker wieder aufflammen und es zu Pogromen kommen? Die Verwaltungsgrenze zwischen Nordossetien und Inguschetien ist geschlossen worden.

Auf Unverständnis stößt bei den Inguschen das Schweigen Präsident Murat Sjiasikows, der sich zur Geiselnahme, an der auch Inguschen beteiligt gewesen sein sollen, nicht öffentlich zu Wort gemeldet hat. Sjiasikow hat ein Telegramm verlesen lassen, mehr nicht. Die Geiselnehmer hatten von ihm verlangt, dass er an den Verhandlungen teilnimmt. Sjiasikow lehnte mit der Begründung ab, er hätte mit der Sache nichts zu tun. Der Geheimdienstoffizier ist ein Statthalter des Kreml, den Wladimir Putin gegen den Willen der Inguschen in gefälschten Wahlen vor zwei Jahren auf den Präsidentensessel gehievt hat.

ROMAN SCHELL, K.-H. DONATH