taz-serie (9): wie fahren wir 2010?
: Der Unterschied zwischen dem Menschen- und dem Harry-Potter-Zauberland

Der ÖPNV muss neu definiert werden

Das Harry-Potter-Zauberland ist ein mobiles. Hexenbesen, „Floo-Pulver“ oder „Portschlüssel“ bringen einen spontan dorthin, wo man sein möchte. Hier, im Jetzt: Nichts als Ödnis. 40 Minuten warten, sagt der Fahrplan. Warum hat das Menschenland nicht mehr mobile Fantasie?

An mangelndem Geld kann es nicht liegen. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) wird jährlich mit mehr als 10 Milliarden Euro von Bund, Ländern und Kommunen bezuschusst. Zu festen Bedingungen allerdings: Busse und Bahnen fahren nach striktem Fahrplan auf fester Linie. So will es das Personenbeförderungsgesetz, das seit Jahrzehnten gilt und durch viele gesetzliche Förderbestimmungen ergänzt wurde. An ihm ist kaum zu rütteln. Dabei kann der fahrplangebundene Linienverkehr die allgemeinen Mobilitätsbedürfnisse gar nicht mehr abdecken. Spontaneität, Flexibilität, Komfort, persönliche Sicherheit sind gefragt. Die Folge: Immer mehr fahren Auto.

Ein Umlenken ist nicht in Sicht. Die kleinste Tarifänderung muss genehmigt, eine Fahrplanänderung mit Behörden abgestimmt werden. Ideen und Innovationen werden bestenfalls abseits der etablierten Nahverkehrsunternehmen entwickelt. Auf dem Lande etwa, wo Nahverkehr nicht mehr ausgelastet und zu teuer geworden ist.

Was dort als Experiment begann, hat sich mittlerweile bewährt: Gemeinden bieten statt eines riesigen Linienbusses den kleinen Bürgerbus oder das Anrufsammeltaxi an. Manche davon verzichten gänzlich auf festgelegte Routen, Haltestellen oder Zeiten und richten sich so ganz nach den Wünschen der Kunden. Bei der Zulassung müssen sie allerdings Behörden und Politiker auf ihrer Seite haben, denn einen Anspruch auf Genehmigung haben sie nicht.

Dabei liegt in solchen Angeboten die Zukunft des Nahverkehrs. Dazu gehören auch das „Pkw auf Raten“, wie das Car Sharing oft genannt wird, oder ein öffentliches Mietrad wie das „Call-A-Bike“ der Bahn.

Eine neue Definition des „öffentlichen Nahverkehrs“ ist überfällig. Noch müssen sich Nutzer die Teile eines solchen Mobilitätsangebots mühsam zusammensuchen. Noch wird nur kollektiver Linienverkehr gesetzlich anerkannt. Doch nur wenn die Regeln gelockert werden, werden Freiräume für Innovationen geschaffen. Geschieht hier nichts, bleibt die Erprobung innovativer Produkte auf vereinzelte experimentierfreudige Unternehmen wie die Deutsche Bahn angewiesen. Und an Haltestellen bleibt viel Zeit zum Träumen. ASTRID KARL

Sozialwissenschaftlerin, Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin. Nächste Woche: Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen