„Der Bürger verliert die Orientierung“

Der Wechsel des Wirtschaftsstaatssekretärs Alfred Tacke (SPD) in einen großen Energie-Konzern ist nur die Spitze des Eisbergs, findet der Korruptionsexperte Hans See. Die Machtstrukturen zwischen Kontrolleuren und Kontrollierten werden verwischt

INTERVIEW KARIN LOSERT

taz: Herr See, Staatssekretär Alfred Tacke folgt seinem früherem Chef, dem Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller – und wechselt direkt vom Ministerium in den Energie-Konzern RAG. Riecht das nicht nach Klüngel?

Hans See: Wir können seit geraumer Zeit einen ganz systematischen Ausbau von Querverbindungen und Seilschaften beobachten. Zeigen sie mir ein Beispiel, wo im Beziehungsgeflecht von Staat und Wirtschaft kein Klüngel besteht. Wechsel von der Politik in die Wirtschaft kamen und kommen hundertfach vor. Ich erinnere nur an den früheren Wirtschaftsminister Hans Friedrichs von der FDP, der wechselte zur Dresdner Bank. Solche Beispiele gibt es in allen Parteien. Ich weiß gar nicht, warum um den Fall Tacke ein solches Aufheben gemacht wird.

Gerade die großen und enorm mächtigen Energiekonzerne stehen mit ihrer Preispolitik in der Kritik. Wäre hier nicht eine stärkere Trennung von Staat und Wirtschaft erforderlich?

Zwischen den beiden Bereichen gibt es ja schon fast eine feudalistische Verquickung. In den Ministerien sitzen Leute aus den Großkonzernen und bereiten die Gesetzesentwürfe vor. Zuletzt zeigte der Mannesmann-Prozess, wie machtlos der Staat ist, wenn es um Kontrolle der Wirtschaft geht. Die Staatsanwaltschaft fordert drei Jahre Haft, die Richterin spricht die Angeklagten frei. Wen interessiert nach diesem Freispruch noch die Moralpredigt der Richterin?

Was müsste sich denn generell am Verhältnis von Wirtschaft und Staat ändern?

Ich will ja keine Medienschelte betreiben. Aber statt sich an so einem kleinen Herrn Tacke aufzuhängen, sollte man lieber mal die Strukturen dahinter beleuchten. Dieser Fall von Klüngelwirtschaft wird im Augenblick genutzt, die angeschlagene SPD weiter zu schwächen. Der Vorwurf: Parteibuchwirtschaft.

Die Union hat nun einen Gesetzesentwurf eingebracht, der verhindern soll, dass Politiker ausgerechnet in eine Branche wechseln, für die sie zuvor zuständig waren. Würde ein solches Gesetz helfen?

Zumindest hat es eine gute Symbolwirkung. Aber auch hier wird nur an den Symptomen kuriert. Solange die Politik nicht die Macht und den Willen dazu hat, Gesetze auch gegen die Wirtschaftsinteressen durchzusetzen, schöpfe ich keine Hoffnung. Es müsste so sein wie im Sport. Wer hier beim Doping erwischt wird, darf nicht mehr mitspielen. Wenn Sie diese Regeln in die Politik übertragen würden, das würde ganz schnell greifen.

Was kann der Bürger dagegen unternehmen?

Wenig, denn hier werden Grundprinzipien aufgehoben und Machtstrukturen verwischt. Die Orientierung der Bürger geht verloren. Nur wenige können noch nachvollziehen, wer welche Entscheidungen trifft, wer wofür verantwortlich ist. Das Wahlvolk merkt aber sehr wohl, wenn über seine Köpfe hinweg zu seinen Lasten entschieden wird. Die Enttäuschten bleiben bei den Wahlen zu Hause.