Partys, Berge und Zerstörung

„Die wollen runterbolzen und einen ordentlichen Adrenalinkick, das ist kein Bergsport in unserem Sinne“, schimpft der Herr vom Alpenverein

AUS SAALBACH-HINTERGLEMMMAXIMILIAN HÄGLER

So ganz sicher war die Landung nicht – knapp an einer breitstämmigen Tanne vorbei. Aber das ist nicht verwunderlich. Zum einen ist Bene Aigner eine mannshohe Hangkante hinuntergesprungen und dann noch ins „flat“ – wie er es nennt –, also auf den an dieser Stelle beinahe waagrechten Kiesboden, der die Knochen trotz gefedertem Freeride-Bike ganz schön knirschen ließ. „Na ja, zugegeben – ich hab nix gesehen“, meint der 19-jährige Mechaniker aus Stuttgart und streift sich seine Protektoren zurecht. Wahrscheinlich grinst er, genau lässt sich das nicht feststellen, Visierhelm und Brustpanzer verdecken jede Gemütsbewegung. Weiter geht’s. Hauptsache es macht Spaß. In Saalbach-Hinterglemm kümmern sich alle um die Freuden der Mountainbiker, seit man den Sommer „als zweite Saison“ entdeckt hat.

Im größten Wintersportrevier Österreichs gibt’s seit einigen Jahren Abfahrtsfreuden auch im Sommer. Nur eben mit dem, was früher einmal Fahrrad hieß und heute als Freeride-Bike mit 30 Zentimeter Federweg, hydraulischen Scheibenbremsen und „Upside-Down-Doppelbrückengabel“ aufwartet. Die Infrastruktur ist zwar zu Wintersportzwecken angelegt, aber das ganze Jahr verfügbar: Eine Liftschaukel, bestehend aus fünf computergesteuerten Liftanlagen mit extrasanftem Fahrverhalten, die Räder und Fahrer 1.000 Meter in die Höhe befördert. Daneben knapp 15.000 Gästebetten und eine Ambulanzstation. Eine Entwicklung, die gegenwärtig viele Orte in den Alpen durchmachen – doch nur die wenigsten sind so konsequent wie das Tal Saalbach-Hinterglemm.

„Irgendwann hatte ich keine Lust mehr auf halb volle Busladungen mit Senioren“, erinnert sich Bascht Hasenauer an die Anfänge des Radsports. Vor sechs, sieben Jahren war das, und der Hotelier und Grundbesitzer saß für die Bauern im Gemeinderat. „Nur ältere Leute und keine g’scheite Party, das war langweilig“, erinnert sich der grau gelockte Hotelier mit jugendlicher Begeisterung. Jetzt sitzt er mit Trainingsanzug im Frühstücksraum seines „Bike-Hotels“ und weiß gar nicht, wo er anfangen soll. Er zeigt auf den Laptop, an dem er seine Website überarbeitet, Tourenpläne erstellt, Eventkonzepte entwirft und GPS-Daten einspeist. In der Hand ein Handy – auch das ist integriert in die neuer Bike-Welt. Gemeinsam mit einem deutschen Telefonhersteller entwickelt Hasenauer einen Tourenguide per MMS – „Ein Knopfdruck und du hast die Wegbeschreibung und das Foto von der nächsten Weggabelung auf dem Display“, schwärmt er.

Saalbach-Hinterglemm wartet zwar nicht mit Hotelburgen auf und ist deshalb noch hübsch anzuschauen, aber trotzdem weiß „der Bascht“, wie sie ihn hier nennen, dass es vielen seiner Gäste nicht so sehr um das pittoreske Bergdorf geht, sondern um „Berge, Party und ein angenehmes Unterkommen nach einer schweißtreibenden Tour“. Die Berge sind vor der Tür, werden von seinen Tourenguides für alle Leistungsklassen erschlossen und bieten Höhenwege mit einer grandiosen Gletscherkulisse aus Großglockner, Großvenediger und den Hohen Tauern. Und zur Entspannung gibt’s die eigene Hütte auf 1.400 Metern mit beheiztem Pool. Für die Party sorgt der Kooperationspartner 100 Meter oberhalb der Liftstation, in der auch Hasenauers Fahradladen residiert. „Wir arbeiten eng mit dem Goaßstall zam. Abends geht’s zum Essen hoch und danach wird’s gesellig.“

Der „Goaßstall“ – den kennen auch Bene und seine Freunde. Sie nächtigen zwar im väterlichen VW-Bus, aber nach ein paar Runden Bier werden auch sie oben vorbeischauen im „Stall“. Dort, wo sie sich gestern die Grundlage für den wagemutigen Fahrstil und manch unsanfte Landung angetrunken hatten. Vorher ist aber Reinemachen angesagt. Für die tausende Euro teuren Bikes gibt’s an der Talstation den Hochdruckreiniger, der auch noch für die Schienbeine und Schuhe herhalten muss.

Der Großteil der Mountainbiker, die ins Tal gereist sind, feiern ab Sonnenuntergang mit einer Band aus München. Nichts für Bene und seine Freunde. „Das ist fad“, winkt er ab. „Lieber hau ich mich jetzt zwei, drei Stunden hin, damit wir fit sind für die gescheite Party.“ Das heißt für die Jungs aus dem Schwabenland das Gleiche wie für Bascht aus Saalbach – „Goaßstall“.

Um Mitternacht trifft sich hier die Downhill- und Freeride-Fraktion. Gewöhnliche Tourenfahrer, die früh aufstehen, um mit Rucksack und Wasserflasche zu anstrengenden Gipfeltouren aufbrechen, verirren sich nur selten hierher. Dafür feiern die anderen umso heftiger – bei Gläsern und Eimern voll mit Flügerl, Sangria und Jägermeister kommen sich Augsburg, Mainz und Wien näher. Während Lametta vom Dach der Hütte schneit, erzählt Bene von Unfällen. „In München ist vor einiger Zeit ein Biker gegen einen Baum gesprungen – der ist jetzt querschnittsgelähmt.“ Die Runde schweigt, aber nur kurz, dann gewinnt sportliche Routine wieder Oberhand. „Man darf’s halt nicht übertreiben.“

Normalerweise fahren die fünf in Stuttgart „street“ – springen über Parkbänke, „grinden“ an Mauerkanten und „bonken“ Müllkübel. Während in der Stadt Beton und Stahl als Spielutensilien herhalten müssen, sind es in Saalbach-Hinterglemm Erde und Stein. „Ein guter ‚Funpark‘ muss mit Bagger, Spitzhacke und Spaten angelegt werden“, erklärt Renate Jeblinger. Die blonde Frau baut Pisten – sommers für Mountainbiker und winters für Skifahrer und Snowboarder. Und tatsächlich scheint sie ihr Geschäft zu verstehen – im Vergleich zu gelben und braunen leblosen Hängen in Südtirol und manch anderen Skigebieten schauen die bewaldeten Grasberge recht intakt aus. Das liegt an einem einfachen Rezept, wie Renate Jeblinger lachend eingesteht: „Kuhkacke und Stroh – danach geht’s allen Wiesen wieder gut.“

Doch nicht alles ist heil. Wer von Leogang nach oben fährt, erschrickt über den Wintersport, der schon im Sommer Spuren hinterlässt. „Auf Grund der Errichtung eines Speicherteichs und einer Beschneiungsanlage ist der Weg für Wanderer, Radfahrer und nicht baustelleninvolvierte Personen gesperrt“, vermeldet ein Schild. Nebenan stehen Maschinen, die unter der Woche den Berg bedarfsgerecht umformen.

Auch die Downhill-Strecke hat Renate Jeblinger entworfen – auf Initiative von Bascht Hasenauer natürlich. Und der gesteht ein, dass er noch nicht an alles gedacht hat: „Was uns noch fehlt, ist das italienische Flair. Wir arbeiten hart daran, dass wir künftig auch noch Cappuccino anbieten können.“ Damit wäre die Grundlage komplett für den Plan des Tourismuschefs Wolfgang Breitfuß: „Unsere Vision – die absolute Nummer eins für Biker im Alpenraum.“

Bisher ist das der Gardasee. Jeder ernsthafte deutsche Mountainbiker war in den letzten Jahren in Riva, Torbole oder Arco. Tausende haben die vielen Routen bezwungen – ganz ohne Lifte. Doch hat das freizügige Fahren hat langsam ein Ende. Verdichtetes Erdreich, Erosionen und Muren entstehen auf den stark befahrenen Strecken und haben im vermeintlich laxen Italien in den letzten Monaten zu drastischen Fahrverboten geführt. Die Gemeinden versuchen zu ordnen, was sie seit der Erfindung des Mountainbikes verschlafen haben. Die Kommune Arco hat drei Gebiete eingerichtet: Jäger, Wanderer und Biker bekommen je eine eigene Zone mit ausgeschilderten Wegen. Schon nicht mehr hinnehmbar für die Freerider-Szene, sie sucht sich neue Gebiete – die Alpen sind groß.

Doch es scheint, als habe Österreich gelernt. Egal, ob Streckenbauerin Jeblinger, Tourismuschef Breitfuß oder Bernhard Schragl von den „Österreichischen Bundesforsten“ (ÖBF) – alle sprechen von der „notwendigen Kanalisierung“ des radelnden Tourismus. Zumindest bei den ÖBF, die mit den Tourismusverbänden Mountainbikestrecken ausweisen und pflegen, spricht man auch Probleme an. „Wenn die Berge überbevölkert sind, zieht sich das Wild in den hoch gelegenen Schutzwald zurück und beschädigt ihn“, sagt ÖBF-Mann Schragl. Eine Öffnung aller Bergwege ist für ihn problematisch.

Auch Gerold Benedikter vom österreichischen Alpenverein sieht die Entwicklung kritisch. „Kanalisierung“ beinhaltet für ihn eine Lösung des Konflikts zwischen Wanderern, Mountainbikern und Förstern. Und den gibt es, zumindest in Innsbruck. „Hier haben vermutlich erboste Wanderer eine Downhill-Strecke zerstört und Fangnetze zerschnitten.“ Aber Downhiller und Freerider sind sowieso nicht die Zielgruppe des Alpenvereins: „Die wollen runterbolzen und einen ordentlichen Adrenalinkick, das ist Freizeit und nicht wirklich Bergsport in unserem Sinne.“

Bene Aigner und seine Trinkgenossen stört diese Einschätzung nicht. Sie liegen im Halbschlaf auf Isomatten, die Energy-Drinks griffbereit und mit einem seligen Grinsen auf den Lippen. In einigen Stunden wird die Sonne auf die Gruppe brennen und den dröhnenden Schädeln keine Chance lassen. Dann ist es wieder so weit für den Kick.