„Das ist einfach Quatsch“

Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt wirft den Grünen vor, zu viele Kompromisse zu machen. Volker Beck wehrt sich

Moderation SUSANNE LANG
und LUKAS WALLRAFF

taz: Herr Beck, würden Sie im Jahr 2003 als Flüchtling gerne nach Deutschland kommen?

Volker Beck: Ich glaube, dass sich Flüchtlinge die Frage so nicht stellen. Die Vorstellung, die manche Innenpolitiker verbreiten, ist falsch. Flüchtlinge gucken nicht, wo es denn nett ist, sondern wo sie sicher sind. In Deutschland haben sie, wie in anderen europäischen Demokratien, einen entsprechenden Rechtsschutz.

Sehen Sie das genauso?

Günter Burkhardt: Die Chance für Herrn Beck, als Flüchtling nach Deutschland zu kommen wäre sehr gering. In diesem Jahr wird es nur noch knapp 60.000 Asylsuchende geben. Die Grenzabschottung funktioniert in Europa – und die rot-grüne Bundesregierung spielt dabei eine federführende Rolle.

Beck: Moment. Ein wesentlicher Grund der Abschottung liegt in der Drittstaatenregelung von 1993, die es Flüchtlingen fast unmöglich macht, direkt nach Deutschland zu kommen. Wir haben diese Regelung immer abgelehnt, können sie aber nicht einfach ignorieren.

Burkhardt: Sie wird ja sogar ausgebaut. Auf EU-Ebene wird über eine Drittstaatenregelung nachgedacht, bei der noch nicht einmal vorausgesetzt wird, dass der Flüchtling den Boden eines Drittstaats betreten hat. Europa will sich flüchtlingsfrei machen. Die Grundrichtung der Flüchtlingspolitik stimmt nicht.

Ein bitteres Fazit nach fünf Jahren Rot-Grün …

Beck: … das ich so nicht teilen kann. Die Bundesregierung hat sich gegen diese Vorschläge aus Großbritannien positioniert, was ich unterstütze. Und bei einigen Defiziten haben wir aufgeholt, etwa bei der nichtstaatlichen und geschlechtsspezifischen Verfolgung. Man sollte auch nicht vergessen, dass wir zum Beispiel erreicht haben, dass Bosnier und Kosovaren, die Arbeit haben oder traumatisiert sind, ein Bleiberecht erhalten. Und im Rahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes werden viele, die außerhalb des Asylrechts hier geschützt sind, eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis bekommen.

Burkhardt: Die Situation von 200.000 Geduldeten bleibt aber weiter ungelöst. Vielen wird es sogar noch schlechter gehen. Deshalb fordern wir ja ein Bleiberecht für alle, die lange hier sind.

Beck: Das ist in der Tat ein dicker Defizitpunkt, bei dem wir uns in den anstehenden Verhandlungen um eine Nachbesserung bemühen. Aber die Richtung des Zuwanderungsgesetzes stimmt. Angesichts der vielen Bundesratsinitiativen der Union müssen wir manchmal froh sein, wenn wir Verschlechterungen abwehren können. Stichwort: Abschiebung auf Verdacht.

Herr Beck, Sie sind der grüne Mann im Vermittlungsausschuss. Was wollen Sie bei den Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz erreichen?

Beck: Wir müssen sehen, was von der Union wirklich ernst gemeint ist. Die Situation ist da offen.

Offen heißt: weitere grüne Zugeständnisse?

Beck: Offen heißt, wir können nach Schnittmengen für ein Gesetz suchen, das für uns verantwortbar ist. Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder einen Kompromiss oder ein gescheitertes Gesetzgebungsverfahren. Das fände ich schade, weil das Gesetz bei Migration, Integration und Flüchtlingsschutz wirklich modern ist. Es wäre ein Signal, dass Deutschland endlich anerkennt, dass es Einwanderungsland ist.

Burkhardt: Aber das Gesetz ist schon jetzt mangelhaft. Und es werden Tatsachen geschaffen. Die Innenminister bereiten Abschiebungen nach Afghanistan vor, obwohl das Auswärtige Amt die Sicherheitslage dort als dramatisch beschreibt.

Beck: Es passt tatsächlich nicht zusammen, wenn wir Truppen wegen der instabilen Lage nach Afghanistan schicken, gleichzeitig aber Menschen dorthin abschieben wollen. Wir haben ein strukturelles Problem im Ausländerrecht, dass bestimmte Fragen im Konsens der Innenminister geregelt werden und sich somit der parlamentarischen Kontrolle weitgehend entziehen.

Burkhardt: Konsens ist gut – das ist ein Kartell! Das kann man doch nicht hinnehmen. Wo bleibt der Außenminister und sagt, liebe Innenminister, was ihr macht, ist klein kariert und konterkariert die außenpolitische Zielsetzung? Ich habe den Eindruck, Joschka Fischer geht nicht mit der Verve in den Konflikt mit den Innenministerien, wie es nötig wäre.

Beck: Das ist einfach Quatsch! Stichwort: Lageberichte. Früher wurden die faktisch im Innenministerium diktiert. Heute werden sie unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten vom Auswärtigen Amt in völlig neuer Qualität formuliert. Gerade unter Fischer haben Menschenrechte einen neuen Stellenwert in der deutschen Politik erhalten.

So, so. Davon ist in der Öffentlichkeit aber wenig zu hören. Da äußert sich Herr Fischer lieber zur Bürgerversicherung.

Beck: Es ist nun mal so, dass die Reformen der Agenda 2010 zur Zeit ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Die Menschen würden es nicht verstehen, wenn wir jetzt die Flüchtlingspolitik in den Mittelpunkt stellten.

Können Sie diese Prioriätensetzung nachvollziehen?

Burkhardt: Nur sehr begrenzt. Es gibt bis heute kein wirkliches Werben dafür, dass dieses Land Flüchtlinge aufnimmt. Stattdessen ist die Rede von Abschottung und Abwehr illegaler Einwanderung, wie beim Flugblatt der Regierung vor der letzten Wahl.

Beck: An diesem Punkt gebe ich Ihnen Recht. Bei der Kampagne zum Zuwanderungsgesetz wurde – sehr zu unserem Ärger – vor allem die Begrenzung betont. Ich fand das viel zu defensiv. Das war eine falsche Kommunikationsstrategie. Im Gesetz selbst bekennen wir uns klar zu den humanitären Verpflichtungen.

Hätten Sie 1998 gedacht, Herr Beck, dass es so schwer würde, Ihre Wahlversprechen – wie die Abschaffung des Flughafenverfahrens – einzulösen?

Beck: Wir haben für unsere Forderungen gekämpft, aber nicht überall gewonnen. Immerhin hätte es aber ohne uns die gesamte Diskussion um die Reform des Ausländerrechts wohl gar nicht gegeben. Das eigentliche Problem ist, dass es für Menschenrechtsfragen außer den Grünen keine Partei gibt, die ganz klar dafür einsteht. Unsere Durchsetzungskraft würde sich erhöhen, wenn mancher Christdemokrat sein C finden und mancher Liberale sich für den Rechtsstaatsliberalismus engagieren würde.

Burkhardt: Bei allem Verständnis für Ihre Schwierigkeiten – es muss eine klare Linie erkennbar sein. Noch in der letzten Legislaturperiode wollte die Koalition die Dauer der Abschiebehaft verkürzen. Die Frage, wofür man in der Regierung ist und warum man für Menschenrechte einsteht, scheint im Alltagsgeschäft nachrangig zu sein.

Tun Sie sich nicht wirklich zu leicht, Herr Beck, wenn Sie anderen Parteien den schwarzen Peter geben? Auch die Grünen selbst haben sich doch geändert, etwa was die Einstellung zu Abschiebungen betrifft.

Beck: Wenn Sie damit meinen, dass wir nicht mehr von offenen Grenzen für alle sprechen, haben Sie Recht. Dort hat sich unsere Position geändert, aber nicht erst seit wir mitregieren. Es geht nicht mehr um die Frage, ob jemand, der klein Bleiberecht hat, ausreisen muss oder nicht, sondern um die Rahmenbedingungen. Die Zustände in vielen Abschiebehaftanstalten sind nicht hinnehmbar. Es werden zu viele Menschen in Abschiebehaft genommen, bei denen man schon vorher weiß, dass sie gar nicht abgeschoben werden können.

Burkhardt: Die Abschiebepraxis ist menschenrechtswidrig. Hier hat Rot-Grün in fünf Jahren nichts verbessert. Im Zuwanderungsgesetz hat man sogar neue Instrumentarien geschaffen: die Ausreisezentren. Noch effektiver ist aber der politische Druck, der ausgeübt wird und die Ausgrenzung vieler Flüchtlinge. Hier muss gegengesteuert werden.

Sie halten Abschiebung also nicht für die notwendige Kehrseite des Asylrechts wie der Berliner Migrationsbeauftragte?

Burkhardt: Das Pferd wird von hinten aufgezäumt. Man redet über Abschiebung statt über ein Verfahren, das von Anfang an strukturell zu schief läuft. Diejenigen, die schutzbedürftig sind, werden oft nicht geschützt.

Beck: So pauschal kann man das nicht sagen. Abschiebung ist nicht die erste Reaktion, sondern letztes Mittel. Man kann das rechtfertigen, wenn sichergestellt ist, dass die Anerkennungsverfahren dazu führen, dass Flüchtlinge Schutz vor Verfolgung finden.

Burkhard: Das ist aber nicht der Fall! Und Abschiebung darf nicht um jeden Preis und nicht mit allen Mitteln geschehen.

Beck: Selbstverständlich, das teilen wir ja. Aber Verantwortung für die Ausgestaltung der Abschiebehaft haben die Länder.

Burkhardt: Auf Bundesebene könnte man durchaus Einfluss nehmen und gesetzlich die Haftdauer verkürzen.

Beck: Wenn Sie dafür im Bundesrat eine Mehrheit finden, sofort. Ich glaube aber, dass man sich auch als Flüchtlingsorganisation in die Defensive begibt, wenn man nicht zugesteht, dass eine rechtsstaatlich konforme Form von Abschiebung für bestimmte Gruppen unvermeidbar ist.

Burkhardt: Das Problem ist ein anderes. Menschen, die an Leib und Leben gefährdet sind, müssen Schutz bekommen. Dabei läuft in der Praxis viel schief.

Herr Burkhardt, Herr Beck, würden Sie manchmal gerne Ihre Rollen tauschen?

Burkhardt: Nicht wirklich. Je ohnmächtiger Grüne und Menschenrechtsverteidiger in der realen Politk werden, umso wichtiger wird es, dass Menschenrechtsorganisationen ihre Stimme erheben. Von daher fühle ich mich in meiner Rolle sehr wohl. Ich würde mir aber wünschen, wir hätten mehr gestandene Personen in der Regierung und im Parlament, denen Werte und Moral etwas bedeuten und die das konkret in Politik umsetzen.

Beck: Also, ich bin froh, dass ich in meiner Position auf bestimmte Sachen Einfluss nehmen kann. Auch wenn man Kompromisse eingehen muss. Grundsätzlich konnte ich bisher im Ergebnis alles verantworten, was wir gemacht haben. Was die Sachen betrifft, die noch nicht durchgesetzt sind: Es gibt immer eine nächste Runde, und die möchte ich den anderen nicht ersparen.