Kreuzberger Nächte

Berlins Linke feiert den Tag der Deutschen Einheit mit Kapitalismuskritik – und der Gründung einer Republik

Vorsichtig kippt der braunhaarige Mann hinter der Theke des Cafés Hannibal den Milchschaumkaffee in die Porzellantassen. Nicht ist zu spüren von den historischen Umwälzungen, die hier, in Kreuzberg, Wiener Straße Ecke Skalitzer Straße, stattfinden sollen. Dabei versammeln sich nur 100 Meter entfernt in diesem Augenblick mehrere linke Gruppen mit großem Ziel: der Gründung der Autonomen Republik Kreuzberg, kurz ARK. Davor eine Demo. Motto: „Es lebe die Autonome Republik Kreuzberg!“

„Gegründet wird die ARK erst in der Nacht von Freitag auf Samstag“, sagt Edi, Mitglied der STERN BURG BRIGADE. Zweifel an der Gründung hat sie nicht. „Wieso sollten wir das nicht machen? Schließlich hat die BRD während des Jugoslawienkrieges auch sezessionistische Bewegungen unterstützt.“ Vielleicht sei das noch eine Utopie.„Aber“, so die kleine, rotblonde Frau, „wenn man konsequent weiterdenkt – wer weiß …“ Hinter ihr steht ein Möbelwagen, voll gepackt mit Boxen, aus denen Punkmusik dröhnt: „Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei.“ Draußen auf der Plane steht der Name eines Umzugsunternehmens.

Die ARK-Leute haben auch schon ein Fax an die UNO geschickt. Zwecks Anerkennung. Hamit Kazakovski, vorläufiger Föderationssprecher, betont, dass man keine bösen Absichten habe: „Wir wollen auf keinen Fall Krieg gegen die BRD. Wir beanspruchen nur den ehemaligen Verwaltungsbezirk Kreuzberg, dann sind wir auch ruhig.“

Mittlerweile stehen ungefähr 200 Leute auf dem Platz herum, aus dem Möbelwagen tönt es: „Es geht voran, es geht voran …“

Eigentlich sollte es um 15 Uhr losgehen. Die Demonstration hat mittlerweile eine halbe Stunde Verspätung.

Aber das macht nichts, denn die Konkurrenz am Hackeschen Markt ist ja auch zu spät dran. Dort wird gegen „die Umgestaltung der Gesellschaft zur besseren kapitalistischen Verwertung demonstriert“, sagt Katharina Hausmann von Kritik und Praxis Berlin, dem Veranstalter der Aktion.

Wie in Kreuzberg gibt es auch hier rote Fahnen, viele Kapuzenpullis und einen Lkw mit Musik. Allerdings steht da „Rock against Schweinesystem“ drauf. Und überhaupt geht es ein bisschen ernster zu als bei denen von der ARK. „Wir wollen erreichen, dass die Leute ihre Ansprüche nicht aus falschem Patriotismus für Deutschland zurückstecken“, erklärt Katharina, „Deshalb ist das Motto auch ‚Deutschland verraten! Kapitalismus abschaffen!‘ “ Was danach kommt, weiß sie allerdings noch nicht so genau. „Das besprechen wir dann, wenn es so weit ist.“

Ein Plan, fast so gut wie die Gründung einer Republik. Aber nur fast. RUDI NOVOTNY