Echt antiker Smog

Schöne Doku und Bildungsfernsehen der besseren Art: „Metropolis – Die Macht der Städte“ (ab 5. Oktober, wöchentlich um 19.30 Uhr im ZDF)

von JAN FREITAG

„Platzmangel und Grundstückspreise zwingen die Menschen, in engen und verwinkelten Häusern zu leben, sie waren dunkel und es stank fürchterlich.“ Das klingt doch irgendwie vertraut nach Großstadt, hier und heute.

In der Tat – wenn der Forscher Richard Neudecker derart vom urbanen Moloch seiner Forschungswahl spricht, könnte er auch die Randbezirke von Los Angeles, Neapel oder Chemnitz beschreiben. Erst recht, weil er mit „Dennoch wurden Wuchermieten verlangt“ fortfährt. Doch Neudecker beschreibt die Vergangenheit. Er arbeitet am Deutschen Archäologischen Institut in Rom und beschreibt die Lebensverhältnisse einer Epoche, von der viele nur Gladiatorenkämpfe, Heldenepen und Kaisermorde kennen: der Antike.

Das ZDF hat sich an seinem liebsten Dokumentarsendeplatz, sonntags um 19.30 Uhr, mal wieder eines sperrigen Themas angenommen und (diesmal) einen echten Volltreffer gelandet: „Metropolis – Die Macht der Städte“ heißt der neue Vierteiler, ab 5. Oktober wöchentlich. Und es ist mehr als öffentlich- rechtliche Pflichterfüllung, die das Zweite da jeweils 45 Minuten abliefert – es ist Bildungsfernsehen der besseren Art. Sogar die BBC, Godmother aller Doku-Kanäle, könnte es nicht besser.

Die Regisseure Manfred Bauer und Hannes Schuler beleuchten in ihrer dritten gemeinsamen Arbeit vier Metropolen: Rom, Karthago, Alexandria und Athen. Doch anders als im Quotenkampf üblich widmen sie sich nicht den Schönen und Reichen, den großen Intrigen, Palästen und Kriegsszenarien, sondern dem Bodensatz des antiken Größenwahns. Sie lassen im Schmutz der ersten Slums wühlen, spüren das Leben im Alltag auf, verfolgen die Lebenswege stinknormaler Menschen und lassen so Rückschlüsse auf heute zu. Eben das, was erst Mitte des vorigen Jahrhunderts populärwissenschaftliche Bedeutung erlangte.

Schon interessant genug zu erfahren, dass Rom bereits vor 2.000 Jahren eine Millionenstadt war, Shoppingmalls, Mietskasernen, Immobilienhaie und Müllberge inklusive. Nicht minder bemerkenswert ist aber die dramaturgische Umsetzung. Frei nach dem Motto „Von den Privaten lernen heißt siegen lernen“ haben sich die zwei Filmemacher das Innovative von Formaten à la Terraluna, Planetopia oder dem permanenten Docusoapsperrfeuer herausgepickt.

Aber was Pro 7 und Co. wohl nie lernen, versteht das ZDF zu kultivieren – pathetische Überdramatisierungen mittels Musik, Plot, Licht und Ton sind schließlich nur bei eingebauten Ruhepausen erträglich. Anders ausgedrückt: Metropolis verfällt zwischen all den tollen Tricks und Clips immer mal wieder in die Machart schulgeschichtlicher Schmalspurfilme und hält so die Balance zwischen lehrreich und unterhaltsam.

So findet in der Auftaktsendung eine Passage über den Verpackungswahn der alten römischen Wegwerfgesellschaft Platz neben reißerisch inszenierten Verbrecherjagden in den schmutzigen Gassen der allerersten Megacity. Dass das Ganze mit aufwendigen Computersimulationen aufgepeppt wird, ist selbstverständlich. Und weil Dokumentationen gerade mal ein Drittel vergleichbarer Spielfilmproduktionen gleicher Länge kosten, sind auch 49 Schauspieler und 215 Statisten an insgesamt 21 verschiedenen Sets nicht überdimensioniert. „Reenactment“ nennt sich diese Form der Durchmischung von Fakt und Fiktion, und sie darf nicht zu sehr nach Leistungskurs Darstellendes Spiel aussehen.

Historytainment, das ist eben das Rad der Zeit und muss sich darum mit den enervierenden Dauerexplosionen der Marke Heli-, Motorrad- und anderen Cops oder den dummdreisten Starsuchtaskforces messen. Doch man darf ruhig klotzen, hier wird nicht gekleckert. Denn wenn es um die Großstädte der Antike geht, wäre Bescheidenheit wirklich fehl am Platze.