schurians runde welten
: Eine Nacht am Ruhrstadion

Die Zeit in Bochum will ich so schnell wie möglich vergessen.“

(Sunday Oliseh: Ajax, Bochum, Dortmund)

16.9. Lüttich-Bochum

Geht es um Fußball, ergreift mich bisweilen die Hysterie. Ich bin damit meistens nicht allein – manchmal aber doch. Vor sieben Jahren ließ ich mich weit vor Mitternacht hinter das Stadion bringen, hatte mir Schlafsack, Thermoskanne und eine Klappliege ausgeliehen und rätselte, wo ich alles aufbaue. Ich entschied mich, auf weitere Ankömmlinge zu warten, auch wenn ich meine Pole-Position dafür aufgeben musste. Eine halbe Stunde später trafen die nächsten Fußballhysteriker ein, beratschlagten ihrerseits, wo sie rund um den abgezäunten Hartplatz ausharren sollten: Sie wählten den Rand eines Blumenbeets, hockten sich auf die Mauer. Ich wuchtete die Liege an ihre Seite. Ein zum Verkaufsschalter umgebauter Bierwagen stand hinter uns auf dem verwaisten Sportplatz.

Aus dem Schlafsack sah ich dann, wie sich trotz bitterkaltem Wind hunderte von Menschen lachend bei dieser großen Dummheit erwischten. Ordner wärmten sich am Öltonnenfeuer. Ein alter Mann in Shorts und T-Shirt hielt einen pinkfarbenen Kirmes-Teddy in den Armen und erzählte von seinem Vagabundenleben, von 100-Kilometerläufen, Langstreckenschwimmen, Alligatoren – all das muss ihn abgehärtet haben. Ich nahm mir vor, mehr Sport zu machen und die Welt zu bereisen. Aber deshalb war ich ja hier.

Das Bier floss bald nur noch stockend durch die Eisschicht im Flaschenhals, zum kühlen Tee wehten trunkene Fangesänge herüber. Weit vor Sonnenaufgang obsiegte wieder die Hysterie über das frostige Sleep-In. Alles drängte vor eines der Stahltore, es wurde eng, ich winkelte meine Beine an ohne hinzufallen. Ungeduldige Sprechchöre, etwas Körperwärme, irgendwann sperrten sie den Hartplatz auf. Ein idiotischer Parcours aus Slalomstangen und Flatterband lenkte die Warteschlange in ordentliche Bahnen.

Noch eine Stunde, dann stand ich schlotternd vor dem Bierwagen, kaufte zweimal Amsterdam-Bochum inklusive einer Busreise. Die Schlange wurde kürzer, gegen acht stand niemand vor dem Kartenschalter. Mit einem lässigen „Guten Morgen“ begrüßten ausgeschlafenere Kunden die übernächtigten Eiszapfen, kauften Tickets, gingen wieder. Immerhin war ich der erste am Ruhrstadion, kann mir keiner nehmen. Aber wer will das schon? CHRISTOPH SCHURIAN