ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Gummistiefel bis zum Oberschenkel

Meine Freundin arbeitet jetzt beim Fernsehen. Deshalb rudere ich im Schlauchboot durch ein geflutetes Gebäude

Es ist Freitagabend, ich sitze in einem Schlauchboot und rudere fremde Menschen durch ein düsteres, geflutetes Gebäude mitten in Berlin. Schuld ist meine Freundin: Sie ist jetzt beim Fernsehen. Keine Angst! Das ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Weder muss sie arme Irre überreden, ihr Elend der Öffentlichkeit zum Nachmittagstee zu präsentieren, noch Inzestfälle für Gerichtsshows konstruieren. Ihr Arbeitgeber wird nicht von der werbetreibenden Industrie finanziert, sondern von dem Dauerauftrag, den Sie, lieber Leser, sicher gerne für die GEZ eingerichtet haben.

Meine Freundin berichtet über die Aktion „Fassadenrepublik“ im Palast der Republik. Dort sind wir nun zur Premiere eingeladen. Der Palast der Republik ist ein mittlerweile entkernter Protzbau aus der DDR, um den in Berlin heftig gezankt wird: Die Ewiggestrigen wollen Honeckers Lieblingsgebäude unbedingt erhalten, die Ewigvorgestrigen hingegen wollen alles einreißen und ein wilhelminisches Schloss an der Stelle wiederaufbauen. Die politisch korrekte Haltung – die meine Freundin und ich natürlich teilen – ist: das Ganze zum „Volkspalast“ umwidmen und als schrägen Veranstaltungsort erhalten. Dafür wurde alles unter Wasser gesetzt. Die Besucher fahren Schlauchboot. Bis hierhin: coole Aktion.

Dann aber beginnen die Zumutungen. Erstens: Wir müssen Schuhe und Socken ausziehen. Zweitens: Wir bekommen jeder eine Holzstange in die Hand gedrückt, mit der wir das Schlauchboot manövrieren sollen. Wir? Arbeiten? Warum? Eine Künstlerin, die Gummistiefel trägt, die ihr bis zu den Oberschenkeln reichen, klärt uns auf: „Hier wird nicht nur alles serviert. Hier muss man mitmachen.“ Dann kippt der Unteroffizierston ins Oberlehrerhafte: „In unserer Konsumgesellschaft haben das ja viele verlernt.“ Ich überlege noch, ob ich ihr antworten soll: „Wenn die Alternative ist, nachts barfuß rudern zu müssen, dann bin ich für die Konsumgesellschaft“ oder doch besser „Geh du erst mal arbeiten, du!“ Zu spät: Schon hab ich das komische Paddel in der Hand.

Meine Freundin paddelt vorne links, ich hinten rechts. Unser Boot dreht sich. Sie sagt, ich soll andersherum paddeln. Unser Boot dreht sich andersherum. Jetzt schimpft sie: „Synchron!“ Dann sagt sie etwas sehr Böses über ihre Erfahrungen mit meinem Rhythmusgefühl. Wir rammen ein Kunstwerk. Wenn ich recht überlege, bin ich doch der Meinung, dass der Palast möglichst schnell und ohne jede weitere Diskussion in die Luft gesprengt werden sollte.

Barfuß im Schlauchboot von der eigenen Frau beschimpft werden: Kann es noch schlimmer kommen? Es kann: Denn jetzt steigen Leute ein. Nicht irgendwer: In das Schlauchboot steigt Adrienne Goehler. Für Leser, die Frau Goehler vielleicht nicht kennen: Sie ist ehemalige Präsidentin der Hamburger Kunsthochschule und ehemalige Kultursenatorin von Berlin. In beiden Institutionen hat die überzeugte Feministin, die als äußerst schlagfertig gilt, sich erfolgreich mit männerdominierten Strukturen angelegt: Kurz, so eine wünscht man sich in jedes wichtige Gremium dieser Republik. Aber bei Gott nicht in ein Schlauchboot, in dem man gerade mit der Liebsten um seine Beziehung ringt!

Hinzu kommt: Frau Goehler ist mittlerweile als Kuratorin des Hauptstadt-Kulturfonds zur Oberpatin der Berliner Kulturmafia aufgestiegen und sie steigt nicht allein in unser Boot: Sie ist mit einer der Initiatorinnen der Wasser-und-Fassaden-Aktion unterwegs. Welche Verantwortung! Wenn wir jetzt mit dem Paddel spritzen, werden die Gelder für die nächste Flutung vielleicht gestrichen. Und wenn wir im Streit kentern? Ganze Künstler-Karrieren hängen jetzt an unserem Paddelgeschick.

Es ist dann nicht ganz so schlimm gekommen. Frau Goehler fiel nicht ins Wasser. Was im Schlauchboot besprochen wurde, schreiben ich hier nicht, da ich ja nicht als Journalist, sondern als Galeerensklave neben Frau Goehler saß. So viel kann ich aber andeuten: An ihr wird die Flutung weiterer Berliner Gebäude wohl nicht scheitern.

Fragen zum Paddeln? kolumne@taz.de Montag: Matthias Urbach PERFEKTER KAUF