Wehrpflicht unter Beschuss

Die Bundeswehrreform entfacht erneut den Streit um die Wehrpflicht. Verteidigungsminister Struck nimmt Abschied von der Standortförderung – nun sollen nur noch militärische Kritierien zählen

aus Berlin RUDI NOVOTNY

Peter Struck hatte es geahnt: „Es ist zu erwarten, dass es in der Koalition nun Debatten über den Erhalt der Wehrpflicht geben wird.“ Er sollte Recht behalten. Gerade hatte der Verteidigungsminister sein vorläufiges Konzept für eine umfassende Bundeswehrreform vorgestellt – darunter auch den Plan, die Zahl der Wehrdienstleistenden von aktuell 90.000 auf 55.000 im Jahr 2010 zu reduzieren –, als auch schon die erste Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht ertönte. Grünen-Chefin Angelika Beer: „Die notwendige Konsequenz wäre, jetzt den Ausstieg aus der Wehrpflicht zu beschließen.“ Weil künftig nicht mehr alle Männer eines Jahrgangs eingezogen würden, sei für die Grünen die Wehrgerechtigkeit nicht mehr gegeben, so Beer.

Für Struck kommt die Abschaffung der Wehrpflicht nicht in Frage. Allerdings räumt er ein, dass der Grundwehrdienst durch seine Reform zum „Auswahldienst“ wird. Probleme mit der Verfassung gebe es jedoch nicht: „Die Bundeswehr kann nicht von der Größe der Jahrgänge abhängig sein. Die Aufgaben sind das Entscheidende.“ Die sieht er künftig vor allem in internationalen Einsätzen. Doch eine solche Armee braucht neue Strukturen und damit letztlich mehr Geld für Investitionen. Und da Struck von Finanzminister Hans Eichel finanzielle Hilfe nicht erwarten kann, sollen zusätzliche Finanzmittel vor allem durch Umschichtungen im eigenen Etat frei gemacht werden.

Das detaillierte Konzept will Struck zwar erst Ende 2004 verkünden, aber die ungefähren Zahlen stehen schon jetzt fest. Neben der Verringerung der Zahl der Wehrdienstleistenden soll die Truppenstärke von 280.000 auf 250.000 sinken, rund 46.000 Zivilbeschäftigte der Bundeswehr müssen gehen, und mehr als 70 Standorte sollen geschlossen werden. Dabei soll erstmals nur noch nach militärischen Gesichtspunkten wie Größe des Standorts und Nähe zum Truppenübungsplatz vorgegangen werden. Anders als früher sollen Kriterien wie der Erhalt von Arbeitsplätzen in strukturschwachen Regionen keine Rolle spielen. „Ich bin doch nicht der Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein“, sagte Struck dazu.

Der außenpolitische Fraktionssprecher der CDU/CSU, Friedbert Pflüger, kritisierte Strucks Pläne: „Der Verteidigungsminister macht Sicherheitspolitik nach Haushaltslage.“ Pflüger forderte eine umfassende Bedrohungsanalyse und eine nationale Sicherheitsstrategie. Erst danach könne über die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr geredet werden. Unterstützung bekam der Verteidigungsminister dagegen vom Bundeswehrverband. „Wir brechen zwar nicht in Begeisterung aus“, so der Vorsitzende Bernhard Gertz, „aber angesichts der Haushaltslage gibt es zurzeit keinen anderen gangbaren Weg.“