Eingekesselt von den Karpaten

Auf den Spuren Graf Draculas: Im rumänischen Transsilvanien, dem „Land hinter den Wäldern“, kann man nicht nur schöne Bergwanderungen unternehmen, sondern auch die Geschichte Siebenbürgens erkunden. Von den deutschen Siedlern zeugen zahlreiche mittelalterliche Wehrburgen

VON VOLKER ENGELS

Der belgische Detektiv Hercule Poirot würde sich wohl fühlen in dem Nachtzug, der Transsilvanien in Rumänien mit der ungarischen Hauptstadt Budapest verbindet: Die Holzwände in einem warmen Braun gehalten, die Betten frisch bezogen. Erfreulich ist, dass das Wasser des Abteilwaschbeckens tatsächlich fließt. Der Nachtwagenschaffner fragt allerdings nicht, ob der Martini geschüttelt oder gerührt serviert werden soll, sondern bietet augenzwinkernd das „Sexabteil“ an: Statt mit einem Etagenbett ist das Abteil nämlich mit einem Doppelbett ausgestattet.

Kaum 60 Euro müssen Reisende berappen, die sich per Nachtzug im Schlafwagenabteil auf den neunstündigen Weg von Budapest nach Siebenbürgen machen; die unbequemere Variante eines normalen Abteils kostet noch weniger. Was für Deutsche geradezu billig ist, ist für die meisten Rumänen allerdings unerschwinglich: Um die 60 Euro beträgt umgerechnet die Durchschnittsrente im staatlichen Sozialversicherungssystem; wer auf eine landwirtschaftliche Rente angewiesen ist, muss mit umgerechnet 20 Euro im Monat auskommen. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt immer noch an oder unter der Armutsgrenze.

Siebenbürgen, bekannter unter dem Namen „Transsilvanien“, („Land hinter den Wäldern“) ist buchstäblich eingekesselt von den Karpaten, diesem mächtigen Gebirge mit seinen riesigen Waldflächen. Es ist nicht nur die Heimat des Blut saugenden Vampirs Graf Dracula, der der Feder des irischen Schriftstellers Bram Stoker entsprungen ist. Auch Draculas reales Vorbild aus dem 15. Jahrhundert, Vlad Tepes, war vor allem dafür bekannt, dass er Gegner aufspießen oder anderweitig grausam foltern ließ. Doch Blutsauger oder Räuber sucht man heute in Transsilvanien vergebens: Das Reisen, besonders das mit öffentlichen Verkehrsmitteln, ist manchmal vielleicht etwas spartanisch, sicher aber nicht gefährlicher als ein Besuch der Stuttgarter Innenstadt nach der Kehrwoche.

Unterkünfte aller Preiskategorien finden sich in Siebenbürgen reichlich: Auch wenn das Zelten an landschaftlich reizvollen Stellen in der Regel von der Polizei toleriert wird, sind preiswerte Pensionen oder Hostels vorzuziehen, weil sie eine vorzügliche Informationsbörse darstellen. Genau wie die preiswerten Schlafmöglichkeiten in alten evangelischen Pfarrhäusern liegen sie oft in schönen, alten Gemäuern. „Wir wollten nicht nur eine preiswerte Unterkunft schaffen, uns geht es vor allem darum, dass die Reisenden mit der einheimischen Kultur in Berührung kommen können“, sagt Anca Baias, die kürzlich zusammen mit ihrem deutschen Freund in einem fast 500 Jahre alten Haus im Zentrum von Sibiu (Herrmannstadt) ein gemütliches Hostel eröffnet hat. Die Lehrerin für Englisch und Rumänisch, die in Hermannstadt geboren ist, kennt sich nicht nur in der Stadt aus, sondern veranstaltet auch Wanderungen in die Berge. Freunden der Homöopathie steht im gleichen Haus ein kleines Museum offen, das Samuel Hahnemann gewidmet ist, der hier 1777 bis 1779 arbeitete.

Das touristisch gut erschlossene Herrmannstadt eignet sich bestens als Ausgangspunkt für Wanderungen in die Berge und Ausflüge. Rund zehn Kilometer entfernt liegt das alte siebenbürgische Dorf Cisnadioara (Michelsberg), in dem noch und wieder Deutsche leben. Auf einem kleinen Berg liegt eine der vielen sehenswerten Kirchenburgen Siebenbürgens. Kam der Feind, flüchteten die Dorfbewohner, deutsche Siedler, schon im 13. Jahrhundert samt Hab und Gut in die Steinkirche, die von einer kräftigen Schutzmauer umgeben war. Unchristlich wehrhaft wurden Angreifer mit großen Steinkugeln attackiert, die man den Berg hinunterrollen ließ.

Heute geht es deutlich friedlicher zu, wenn man der Dorfstraße folgt, die zwischen dem Silberbach und den Häuserzeilen verläuft. Zweimal am Tag treibt der Viehhirt die Kühe und Ziegen des Dorfs die Piste entlang. Ein Pflichttermin für die Anwohner: Die rumänische Besitzerin des kleinen Lebensmittelladens verteidigt, wild mit den Händen wedelnd, eifrig die bunten Blumen, die sie vor dem Laden gepflanzt hat, gegen die Fresswut der Rindviecher.

Schon wenige Meter weiter wird die Dorfstraße zum Waldweg, der ein ganzes Stück den Bach und saftige Wiesen entlang sanft zum Berg hin ansteigt. Alte Buchen, Eichen und andere Laubbäume spenden angenehmen Schatten. Gut vorstellbar, dass einer der hier ansässigen Wölfe oder Bären den Wanderer beobachtet. Da klingt die Warnung der freundlichen Oma nach, die erzählt hatte, dass ein Bär wieder einige wild zeltende Camper attackiert habe. Doch tatsächlich ist das Leben von Wanderern in den Karpaten allenfalls durch Übermut gefährdet. Dagegen müssen sich Braunbären oder Wildkatzen handfesteren Gefahren stellen: Nach Zahlung einer Jagdgebühr dürfen die gefährdeten Tierarten geschossen werden. Besonders Waidmänner aus Deutschland kühlen damit zum Entsetzen von Tierschützern ihren Heldenmut.

Andere Wanderer trifft man in den Bergen selten. Manchmal passieren Hirten mit ihren Tieren die Route oder Roma, die im Wald Früchte oder Pilze gesammelt haben, um sie in den Dörfern zu verkaufen. Auch, wenn einige Wanderwege ausgewiesen sind: Auf eigenes Kartenmaterial und einen Kompass sollte man nicht verzichten.

Wer in die siebenbürgische Kultur und Geschichte eintauchen möchte, kommt in den transsilvanischen Städten und mittelalterlichen Dörfern auf seine Kosten: Lohnend ist die Besichtigung der Wehranlagen, die die Städte gegen Angreifer schützen sollten. Die Zünfte waren unter anderem auch im heute noch mittelalterlich verwinkelten Sighisoara (Schäßburg) für den Bau und die Verteidigung zuständig. Auch ein Besuch der zahlreichen evangelischen Kirchen, in denen deutschsprachige Gottesdienste stattfinden, lohnt. Selbst wer mit Religion nur wenig am Hut hat, kann beim abendlichen Bier trefflich über den Sinn eines Spruchs sinnieren, der in der evangelischen Kirche in Brasov (Kronstadt) steht: „Die Begierden musst Du zwingen, mäßig sein in allen Dingen, Fresserei und Trunkenheit gänzlich meiden jederzeit.“