In der flachen Wortspielhölle

Wie die Wahrheit einmal nach Calau reiste und die legendäre Kalauerkasse knackte

Schon von weitem waren die Girlanden zu erkennen, die den Bahnhof schmückten. Als der Bummelzug in Calau einfuhr, wurde das laute Bremsen der Waggons durch eine Blaskapelle übertönt, die eine Reggae-Version von „La Paloma“ anstimmte. Die siebenköpfige Wahrheit-Delegation, die an diesem sonnigen Herbstmorgen in Calau eintraf, war überrascht. Fröhlich winkend stiegen die Berliner Humorarbeiter aus dem Zug. Eine sorbische Trachtengruppe stimmte ein Volkslied an, und ein Sorbenmädchen überreichte verschämt lächelnd einen Blumenstrauß. Nach einer kurzen Begrüßung durch Bürgermeister Norwin Märkisch ging es in einer vierspännigen Kutsche zum Rathaus. Feierlich wurden im Festsaal Gastgeschenke überreicht und der Ausbau der bilateralen Beziehungen beschlossen. Am Ende der Feierstunde wurde die Delegation sanft genötigt, sich ins goldene Buch der Stadt Calau einzutragen. Ein schöner Tag …

„Aufwachen, aussteigen!“, weckte die mürrische Schaffnerin die sieben Wahrheit-Reisenden, die an diesem trüben Herbstmorgen zu ihrem Calau-Besuch aufgebrochen waren. Lange schon hatte es sich die Wahrheit vorgenommen, einen Betriebsausflug zu unternehmen. Und was lag da näher als das kleine Örtchen Calau in der Niederlausitz, aus dem der weltberühmte Kalauer stammen sollte. War doch vor einigen Monaten im Wahrheit-Büro eine Kalauerkasse eingerichtet worden, in die jeder Redakteur oder Besucher einen Euro einzahlen musste, der meinte mit einem müden Wortwitz den Arbeitsalltag aufhellen zu müssen: „Spricht der Dalai Lama Indisch oder Chinesisch?“ – „Der spuckt doch nur.“

Leichter Nieselregen setzte ein, als die Wahrheit-Delegation im Halbschlaf aus dem Zug taumelte. Weit und breit keine Spur von Girlanden oder Trachten. Einsam und trist lag der kleine Bahnhof mitten in der Pampa. „Calau (Niederl)“ stand auf dem Bahnsteigschild. Das „ausitz“ hat wohl nicht mehr draufgepasst. Leicht irritiert machten sich die sieben Tapferen auf den drei Kilometer langen Fußmarsch nach Calau. „Schön, dass Sie da sind!“, stand auf einem Werbeschild des „Calau Center“. Es sollte die einzige freundliche Begrüßung des Tages bleiben.

Am Haus Cottbuser Straße 16 entdeckten die mittlerweile leicht geschwächten Humorarbeiter eine Gedenktafel, die an Ernst Dohm erinnern soll, jenen Redakteur des historischen Berliner Satireblatts Kladderadatsch, der – in einer Zeit als Calau noch mit K geschrieben wurde – hier öfter seine Ferien verbrachte. Dohm, der eigentlich Elias Levy hieß, sammelte die derben Witze und Wortspielereien der örtlichen Schuhmacher und veröffentlichte sie in der Rubrik „Aus Kalau wird berichtet“. Neben der Tafel werden Calauer und Gäste aufgefordert, Witzpost in den dort aufgehängten „Witzekasten“ zu werfen – offenbar sind der Calauer Stadtverwaltung die Kalauer ausgegangen.

Die Rathaustür war an diesem Werktag verschlossen. Wenigstens hatte der „Ratskeller“ geöffnet, hier jedoch waren Vorbereitungen für größere Feierlichkeiten im Gange. „Da wird jemand sechzig“, erklärte die Kellnerin und verteilte unglaubliche Torten auf einer 30 Meter langen Festtafel. Am Handwerkerstammtisch gab es für die Wahrheit köstliche Soljanka und Rinderkraftbrühe, und das erste Bier des Tages wurde gereicht.

Inzwischen war es Zeit für den Besuch im Heimatmuseum. Doch so sehr die Delegation an der Museumspforte klingelte, die zuvor telefonisch angekündigte Musealkraft Frau Littmann war nicht anwesend. „Wegen Krankheit geschlossen“, vermeldete ein blasser Notizzettel. Vermutlich hatte Frau Littmann zu dieser Zeit bereits ihr erstes Tortenstück auf der Geburtstagsfeier in sich hineingeschaufelt.

Kurzentschlossen handelten die sieben Aufrechten. In einem feierlichen Akt wurde mitten auf dem Calauer Marktplatz die Kalauerkasse geöffnet. Der Inhalt in Euro und Cent wird hier dezent verschwiegen, von der Summe hätte man allerdings auch nach Limerick fahren können. Dort sei „wenigstens was los“, murrten die Ersten. Die aber sogleich verstummten, als endlich die drei schlimmsten Kalauer der Wahrheit in diesem Jahr verlesen wurden: Einen Autor, der Kuchen mitbrachte, nannte Wahrheit-Redakteurin Corinna Stegemann einmal „den Gebäckträger“. Medienmerkur Arno Frank hingegen sinnierte: „Kann man eine Hasenscharte auswetzen?“ Und Wahrheit-Redakteur Michael Ringel beantwortete die Frage, was die Ärzte in Singapur noch trennen könnten, mit einem schlichten „Trenchcoats.“ Die sieben Tapferen aber verstanden diesen letzten aller Kalauer als Wink mit dem Pfahlbau und beschlossen umzukehren. Adieu, Calau. Auf Nimmerwiedersehen. DIETER GRÖNLING