berliner szenen Den Gewinner üben

Im Supermarkt

Gewinnen heißt nicht immer, schon bekommen zu haben. Zum Beispiel Geld. Und so lässt manchmal der Wunsch, das Gewinnerleben sofort zu führen, einen Widerspruch erwachsen, den es im Konsens mit Geldbörse und Selbst sparsam zu bezwingen gilt. Dies zu leisten gewillt, fällt er auf: mittelalt, mit Sohn oder Geschäftspartner, in einem Lichtenberger Supermarkt. Beide schon in ihren neuen Posen der Wohlhabenheit, nur die Wirklichkeit hält nicht Schritt. Sein abgetragener Smoking mit weinroter Fliege: flüchtiger Second-Hand-Erwerb wie auch der Anzug des anderen, aus dem ein viel zu großes Hemd herausfällt.

Sie durchschreiten die Kaufhalle, blicken einander an. Was kostet die Welt? Ach nein, heute keine Zeitung. In ihren Einkaufskorb wandern ehrliche Artikel – Toastbrot, Wurst und Limonade. Auch eine unausweichliche Flasche Discount-Champagner glänzt später auf dem Warentransportband. Er setzt zum Bezahlen des Einkaufs an, verharrt. Der Kassiererin entgegnet er, den auf die Verkaufstracht gestickten Namen beschwingt nennend, dass er mehr, als der Einkauf eigentlich wert sei, diesmal mit Freude zahle, nämlich auch das Flaschenpfand. Er habe nämlich gewonnen. „Dreihunderttausend!“ Und morgen brauche er erst am Mittag in die Firma kommen. „Zwölfeurodreiundachtzig, bitte“, tönt Frau Müllermayerschulze ungerührt. Der Gewinner wird übermütig, schnipst ihr lässig einen Geldschein zu und schiebt seinen Wagen zum Ausgang. Das Augenbrauenpiercing der Verkaufskraft springt vor Überraschung bis zum Pony. Doch eilt der Gewinner für den Wechselbetrag zu ihr zurück: „Nur schon den Wagen weggebracht.“ Denn Zeit ist Geld. Und noch ist es nicht da.

NIELS MÜNZBERG