Rückkehr der Niedlichen

Das „Francophonic-Festival“ verwandelte die Kulturbauerei in einen Hort französischer Lebensart. Mit Héléna und Coralie Clément waren am Freitag gleich zwei Stars des Nouvelle Chanson geladen

Könnte es sein, dass Benjamin Biolay seiner Schwester nur die B-Ware überlässt?

VON GUIDO KIRSTEN

Als die französische Sängerin Héléna die Bühne betritt, fallen zwei Dinge ins Auge: Dass sie a) von so makelloser Schönheit wie ein Model ist und b), dass sie sich lediglich von zwei Akustikgitarren begleiten lässt. Schon nach den ersten Stücken wird klar, in welcher Traditionslinie der französischen Popmusik sie damit steht: Sie setzt die Ahnenreihe der gut aussehenden, aber komplett talentlosen Sängerinnen fort, wie sie Brigitte Bardot und Jane Birkin verkörperten. Beide waren ganz passable Schauspielerinnen, bevor sie sich mit ihren Platten ein paar Franc dazuverdienten – auch weil sie die richtigen Partner hatten.

Tatsächlich war die schöne Héléna früher einmal Fotomodell, bevor sie sich ihrer Chanson-Karriere zuwandte. Aber mit den Komponisten ihrer Lieder hatte sie weniger Glück als Jane Birkin mit Serge Gainsbourg. Und dass sie darauf bestanden hat, ihre Texte selbst zu schreiben, macht die Sache leider auch nicht besser: Herausgekommen sind dabei nämlich so tragisch tiefgründige Zeilen wie „Qui es tu de me dire qui je suis, qui est tu de savoir qui tu es“ („Wer bist du, mir zu sagen, wer ich bin, wer bist du, zu wissen, wer du bist“ oder Titel wie „Je t’aime, salaud“ („Ich liebe dich, du Depp“).

Wer da kein Französisch kann, der hat es besser. Am Freitagabend in der Kulturbrauerei müssen das erstaunlich viele gewesen sein – anders waren die vielen wonnestrahlenden Gesichter kaum zu erklären. Oder lag’s vielleicht am Wein?

Für vier Tage hatte sich die Kulturbrauerei in der vergangenen Woche in einen Ort des Savoir-vivre verwandelt: Zum Höhepunkt des Francophonic-Festivals am vergangenen Freitag wurden im gut gefüllten Kesselhaus mit Héléna und Coralie Clément nicht nur zwei der größten weiblichen Stars des Nouvelle Chanson Française erwartet. Zahlreiche Gastronomen hatten auch die Gunst der Stunde genutzt, um an ihren Ständen allerhand französische Leckereien wie französischen Wein, belegte Baguette-Brote, Crèpes, Tartines, Champagner und köstlichen Schokoladen-Mandel-Kuchen anzubieten. Für das kulinarische Wohl war also gesorgt. Umso beschwipster ließ es sich auf das akustische hoffen.

Etwas besser war es damit nach der Pause bestellt, als die Begleitband von Coralie Clément zu ihren ersten Tönen ansetzte. Mit dem Stück „Salle des pas perdus“, das sie anspielte, hat die Sängerin auch schon ihr gleichnamiges Debütalbum eröffnet.

Ihr Bruder Benjamin Biolay allerdings, der im Booklet nicht nur als Songschreiber verzeichnet ist, sondern auf jedem ihrer Stücke auf dem Album mindestens ein Instrument gespielt hat, fehlte auf der Bühne: Seinen Platz nahm ein langhaariger namenloser Gitarrero ein sowie am Bass Daniel Lorca von der Band Nada Surf. Ebenso fehlten auch die Bläser, die den Arrangements auf „Salle des pas perdus“ neben einer Spur von Bossa-Nova-Atmosphäre auch eine gewisse Barjazz-Note verliehen und die wohl dafür sorgten, dass das Album in manchen Läden unter der Rubrik Jazz eingeordnet wurde.

Nun also war Coralie Clément zum ersten Mal in Deutschland und versuchte erst gar nicht, ihre Nervosität angesichts des rappelvollen Kesselhauses zu verbergen. Eine Hand schiebt sie verlegen in die Tasche ihrer Jeans, die andere greift zum Mikro. Den Barhocker, auf dem sie Platz nehmen will, hat sie vor lauter Aufregung vergessen, und muss ihn holen gehen. Das alles ist eindeutig sympathischer als die gekünstelte Héléna, die mit ihrem Versuch, eine große Entertainerin zu mimen, so grandios scheitert.

Der Sound der Band ist kompakt und das Publikum wohlwollend gestimmt. Und doch fehlt etwas, das den Auftritt wirklich groß machen könnte. Einige Stücke sind einfach zu sehr auf niedlich und infantil getrimmt, und lassen gleichzeitig eingängige Melodien vermissen. Zum ersten Höhepunkt des Konzertes wird das Duett „Le dernier train“ zwischen der Sängerin und Daniel Lorca, der mit seiner tiefen Stimme einen passenden Kontrapart zum mädchenhaften Timbre von Coralie Clément liefert. Das zweite Highlight ist dann leider schon die Zugabe, nämlich ihre Interpretation des Stücks „Les cerfs-volants“ von Benjamin Biolay. Dass dies in ihrem Set der mit am Abstand stärkste Song ist, gibt allerdings zu denken. Könnte es sein, dass Biolay die wirklich guten Stücke alle für sich selbst behält und seiner Schwester nur die B-Ware überlässt?

Auch lässt der Abend in der Kulturbrauerei die Frage offen, was an diesem Nouvelle Chanson eigentlich so neu sein soll. Denn weder Héléna noch Coralie Clément lassen irgendwelche Brüche mit der Tradition erkennen. Der wahre Erneuerer der französischen Liedkunst, Dominique A., wird leider nur in Köln auftreten, wo das Francophonic-Festival diese Woche eine weitere Station macht.

In Berlin müssen Fans des neuen Chansons nun auf die Popkomm warten. Ein Schwerpunkt dort wird neuer französischer Pop sein.