Die Waschmaschine

„Das Kanzleramt“ dokumentiert Geschichten aus dem Herzen der Macht. Mechthild Gaßners Coup (20.15 Uhr, Arte) ist exklusiv und gelungen

VON JAN FREITAG

Wieso sollte ein Dokumentarfilm aus dem Zentrum diplomatischer Begegnungen nicht Doku-Soap heißen dürfen? „Weil wir dann in zwei Minuten wieder draußen gewesen wären“, erklärt Thomas Schadt und lacht, weil er gut lachen hat: Ende 2002 schaffte der Produzent, was vor ihm niemand je geschafft hat: für Arte und Südwestfunk die Erlaubnis zum Drehen in den Eingeweiden des Allerheiligsten zu ergattern. Titel: „Das Kanzleramt“. Eine Sensation!

Doch just als Regisseurin Mechthild Gaßner und ihr Team vor der „Waschmaschine“ genannten Machtzentrale in Berlin standen, kursierten plötzlich Agenturberichte über die Pläne mit ebenjener schmutzigen Vorsilbe „Soap“ im Arbeitstitel. „Da waren erst mal alle Türen zu“, erinnert sich Schadt, der Gerhard Schröder schon mit „Der Kandidat“ (1998) und „Kanzlerbilder“ (2001) dichter als jeder andere Filmemacher auf die Pelle gerückt war, „jeder Referatsleiter im Haus hatte ja die Schlagzeile in der Pressemappe“.

Irgendwie müssen sie aber doch wieder daraus verschwunden sein, denn vom 13. bis 17. September läuft die fünfteilige Serie zur Primetime auf Arte. Und die Zuschauer erwartet ein tiefer Blick ins Innenleben des wichtigsten Bauwerks heimischer Exekutive. Nein, nicht in Schröders Schlafzimmer und selten in politische Hintergrundgespräche, Reformdebatten oder Koalitionsabsprachen – eher in den Alltag drum herum.

Und siehe da: Im Kanzleramt arbeiten gewöhnliche Menschen und eitle Politprofis mit normalen Macken und Luxusproblemen, mit Profilneurosen und Starallüren, aus Kanzlers nächster Nähe und größter Distanz. „Ein einziges Mal hab ich den Kanzler im Fahrstuhl getroffen“, erzählt Schröders Büroputzfrau und wienert dabei das berühmte Foto mit Gattin hinterm stahlbehelmten Vater. „Ich hab kein Wort herausgekriegt.“

Leute wie sie, Helfer und Macher, Hiwis wie Spitzenkräfte, hat Regisseurin Gaßner ein halbes Jahr begleitet und 100 Stunden gefilmt. Köche, Redenschreiber, Gärtner, Ministerialräte, Hausmeister, Diplomaten, Sicherheitsexperten und Reinigungspersonal. Sie alle tragen dazu bei, dass die Maschine rund läuft – von der Schreibtischordnung übers Festbankett bis hin zur UNO-Rede. Und das Filmteam immer dabei.

Nicht mittendrin, genau das ist das Herausragende an „Kanzleramt“. Mit stets bewegter, doch nie hektischer Kamera geht es fünf Folgen lang durch 236.000 Quadratmeter umbauten Raums, ohne je aufdringlich zu sein. Vom roten Teppich in die Asservatenkammer, vom Küchentrakt zum Konferenzraum, vom Geräteschuppen aufs Dach. Es sind Blicke hinter Kulissen von atemberaubender Nüchternheit, mitten in einen Organismus, wo die Gesetze der Diplomatie mit deutscher Gründlichkeit zu einer eigenen Zeichenhaftigkeit finden.

Da wird die Frage zur Chefsache, ob das Gestühl des Staatsempfangs im Amtsrasen versinken könnte, da werden Tischdeckenfalten zur Gefahr für internationale Beziehungen und kleine Kommentare des Kanzlers abseits offizieller Mikrofone zur Bloßstellung politischer Gepflogenheiten.

Diese bis auf „sicherheitsrelevante Bereiche“ nahezu tabulose Innensicht funktioniert nur „durch ein völliges Vertrauensverhältnis“, betont Gaßner.

Arte und SWR sind eben doch was anderes als RTL und Bild. Die haben auch versucht, ins Kanzleramt zu kommen. Alle. Immer wieder. Vergebens.

Warum, belegt eine Anekdote aus dem Jahr 2001. Volontäre der Axel-Springer-Schule sollten damals den Hausmeister des Kanzleramts porträtieren. Als dem Nachwuchs der Zutritt versagt wurde, griff der Boulevard von morgen zum Teleobjektiv und holte sich seine Infos vom arglosen Vater des Gesuchten. So geht’s eben auch.