CDU wird zum Großherzogtum

Scharfe Kritik vom Arbeitnehmerflügel hin, Empörung von CSU-Experte Horst Seehofer her: CDU-Chefin Angela Merkel will die Vorschläge der Herzog-Kommission zur Umrüstung der Sozialsysteme heute vom CDU-Parteivorstand durchwinken lassen

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Nein, es ist nicht Oskar Lafontaine, der sich da „schockiert“ zeigt von den neuesten CDU-Vorschlägen zur Umgestaltung der Sozialsysteme. Es ist CSU-Vize Horst Seehofer, immerhin auch stellvertretender Vorsitzender der gemeinsamen Unionsfraktion im Bundestag. „Von sozialer Balance kann ich da nicht mehr viel erkennen“, sagte Seehofer am Wochenende zu den Vorschlägen der Herzog-Kommission. Die Hauptbetroffenen seien Geringverdiener und Kranke.

Der Exgesundheitsminister kündigte an, die CSU werde noch im Herbst ein eigenes, „sozialeres“ Konzept präsentieren. Er war bereits im Juni unter Protest aus der Herzog-Kommission ausgezogen und hat sich seither für das Modell der „Bürgerversicherung“ eingesetzt. Sein Chef, Edmund Stoiber, äußerte sich freilich auch gestern nicht zu Seehofers Plänen.

Angela Merkel ficht Seehofers Wut nicht an. Die CDU-Vorsitzende will heute im CDU-Vorstand die Vorschläge der Herzog-Kommission zur radikalen Umgestaltung der Sozialsysteme samt Kopfpauschalen und Rente ab 67 absegnen lassen. Der Leitantrag für den Parteitag im November, den Merkel heute zur Abstimmung vorlegt, sei „im Wesentlichen identisch mit dem Herzog-Papier“, teilte ihr Sprecher gestern mit.

Unterstützung erhielt die Parteichefin vom Fraktionsvize Wolfgang Bosbach. „Diese Leitlinien der CDU für eine Modernisierung der Sozialsysteme halte ich für richtig“, sagte Bosbach der taz. Bis zum Jahresende müsse der Kurs geklärt werden – erst innerhalb der CDU, dann in der Union. „Ich weiß nicht, was die CSU vorlegen wird“, so Bosbach, „aber ich weiß, wir können nicht zu einem Thema zwei Konzepte vorlegen.“ Die Union müsse sich also einigen, „und zwar möglichst bald“.

Merkels Sprecher sagte gestern, vor der heutigen Abstimmung im Vorstand würden bloß noch ein paar redaktionelle Änderungen vorgenommen. So heiße es in Merkels Antrag nicht mehr „Die Herzog-Kommission empfiehlt …“, sondern „Der CDU-Bundesvorstand schlägt vor …“. Kommt sie damit durch, hätte sie dem Kanzler vorgemacht, wie man ein umstrittenes Konzept „eins zu eins umsetzt“.

Ganz so weit ist es allerdings noch nicht. Der Sprecher der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Hermann-Josef Arentz, hat bereits angekündigt, Gegenanträge einzubringen. Arentz wehrt sich vor allem gegen die Empfehlung der Herzog-Kommission, die Kranken- und Pflegeversicherung künftig über ein Prämienmodell, so genannte Kopfpauschalen, zu finanzieren: Alle Bürger müssten dann den gleichen Versicherungsbeitrag zahlen – egal wie viel sie verdienen. Genau das aber ist das Kernstück der Kommissionsvorschläge, die sich Parteichefin Merkel zu Eigen gemacht hat. „Ich weiß, das wäre jetzt eine Abkehr vom Vorbild des alten Bismarck-Modells“, sagte Merkel vergangene Woche. „Aber ich weiß auch: Über einhundert Jahre nach seiner Einführung geht es um neue Sicherheit für ein in der Tat uraltes Lebensrisiko.“

Nun wird es spannend, ob sich Merkel auf ganzer Linie durchsetzt. Wie Seehofer will sich auch Arentz für die Bürgerversicherung stark machen, bei der alle einzahlen müssen – aber gestaffelt nach Verdienst. Die Positionen des Arbeitnehmerflügels träfen in der Union auf größere Zustimmung, als es dessen geringes Gewicht in der Herzog-Kommission vermuten lasse, glaubt der Vorsitzende der CDU/CSU-Arbeitnehmergruppe im Bundestag, Gerald Weiß: „Viele in der Partei denken so wie wir.“

Die wichtigsten Vorstandsmitglieder der CDU, die Ministerpräsidenten, verhielten sich bisher jedoch auffallend unauffällig. Rüttgers? Wulff? Teufel? Nichts zu hören. Roland Koch wollte seine vorsichtige Kritik am Kopfpauschalensystem gestern nicht mehr wiederholen. Alles andere als eine Mehrheit für das Herzog-Merkel-Konzept wäre eine Überraschung.

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