Chill-out statt Lehrer-Stress

Die Arkaden am Potsdamer Platz haben sich als Einkaufszentrum etabliert. Bei einer Zielgruppe haben sie mehr Erfolg als gewünscht. Jugendliche kommen bereits morgens, statt in die Schule zu gehen

„Ärger mit Lehrern gibt’s nur selten, wir lassen uns immer eine Ausrede einfallen“

von HANNAH BRÖCKERS

Der Brunnen sprüht verschiedenförmige Wasserfiguren durch die Luft. Es riecht nach frisch gebackenen Brezeln, Menschen mit Tüten und Taschen in der Hand schlendern herum. Es ist erst 10.30 Uhr und schon füllen sich die Arkaden am Potsdamer Platz. Zwei Mädchen sitzen auf einer Bank. Rucksäcke und Jacken liegen neben ihnen, ihre Handys haben beide in der Hand. Auf die Frage,was sie hier machen, sagen die 14-Jährigen:„Wir gucken uns hier Sachen in unseren Lieblingsläden an.“

Jenny und ihre Freundin Tanja gehören zur Zielgruppe vieler Geschäfte in den Arkaden. Es ist also eigentlich nicht verwunderlich, dass die beiden Mädchen ihre Freizeit hier verbringen. Doch jetzt ist es 10.30 Uhr am Vormittag und eigentlich müssten die beiden Freundinnen in der Schule sein. Jenny und Tanja erzählen, dass sie öfter mal in das Einkaufscenter am Potsdamer Platz gehen, nicht nur zum Einkaufen, sondern zum „Rumhängen“. „Wenn wir keinen Bock haben, in die Schule zu gehen, weil die Lehrer stressen, gehen wir hierhin.“

Für sie scheinen die Arkaden der ideale Ort zu sein, an dem man seine freien oder freigemachten Stunden verbringt. „Wir treffen uns hier, quatschen, lachen und lernen andere Jugendliche kennen, auch vormittags“, sagt Jenny. „Außerdem können wir in unsere Lieblingsläden gehen und sehen gleich, wenn’s was Neues gibt“, fügt Tanja hinzu. Die Freundinnen besuchen eigentlich die 7. Klasse einer Gesamtschule. „Ärger mit den Lehrern gibt’s nur selten, wir lassen uns immer irgendeine Ausrede einfallen und so oft schwänzen wir ja auch nicht“, versichern die beiden.

Wie Jenny und ihre Freundin schwänzen laut einer Studie der Senatschulverwaltung in Berlin ungefähr 50.000 von 300.000 Schülern regelmäßig den Unterricht, besonders oft sind es Schüler der 7. bis 9. Klasse. Ein beliebter Zeitvertreib, besonders der männlichen Schulschwänzer, sind Computerspiele. Allerdings nicht zu Hause, sondern an den Testgeräten der Kaufhäuser und Geschäfte.

Diese Vorliebe drang auch bis zum Senat vor, der daraufhin einen Bittbrief an Mitarbeiter der entsprechenden Kaufhäuser schrieb: Die Angestellten sollten doch auf auffällige Jugendliche achten und diese eventuell ansprechen. Aus diesem Grund werden die beliebten Spielkonsolen bei Saturn am Potsdamer Platz erst ab 14 Uhr angestellt. „Das haben wir schon immer so gemacht“, betont ein Mitarbeiter des Elektronikgeschäftes.

Schulsenator Klaus Böger (SPD) versucht durch verschiedenen Kooperationsprojekte mit Schulen, wenigstens einige der 4.000 notorischen Schulschwänzer zurück in die Klassenzimmer zu bringen. Beispielsweise die Projekte „Die Stadt-als-Schule Berlin“ und „Produktives Lernen“. Diese arbeiten daran, dass Schüler mit erheblichen Fehlzeiten wieder freiwillig in die Schule gehen und einen Abschluss machen. Mit individuellen Lernprogrammen, praktischem Arbeiten und spezieller Betreuung soll dies erreicht werden. Hauptschulen in verschiedenen Bezirken sind an diesen Projekten beteiligt.

Bis jetzt gibt es keine genaue Zahlen über das Schulschwänzen. „Detaillierte Kenntnisse über Schulschwänzerei zu gewinnen ist nicht leicht“, sagt Rita Herrmanns von der Pressestelle des Bildungssenators.

Auch direkt vor Ort, am Potsdamer Platz, ist es schwer, von den jugendlichen Besuchern Auskünfte zu erhalten. Entweder werden sie gleich rot, wenn man sie nur anspricht, fragt man weiter, ob sie jetzt nicht im Unterricht sein müssten, brechen sie in albernes Gelächter aus. Auch die drei Jungs am Eingang des Centers wollen nicht viel reden, sie sagen nur mürrisch: „Wenn es in der Schule langweilig ist, gehen wir hier hin – chillen, reden, treffen ein paar Kumpels.“