Zettelkastentraum

Fritz Kuhn macht sich Gedanken darüber, wie man Land und Leute verändern kann. Das ist so gelehrt wie unlesbar

Was macht ein Politiker, wenn er nicht Fraktionschef oder gar Parteivorsitzender sein darf und auch keinen Koalitionsvertrag aushandeln muss? Er schreibt ein Buch, ja ein grundlegendes Werk. Er erklärt den KollegInnen kurz, aber wortreich, dass sich die aktuellen Probleme der rot-grünen Koalition schnell und publikumswirksam lösen ließen. Ein paar Ratschläge, wie man die Bürger besser an den Entscheidungen beteiligt und die Globalisierung positiv nutzt, sind kostenlos inbegriffen. Damit bleibt der Politiker als Vordenker im Gespräch und empfiehlt sich in der Partei für höhere Aufgaben – sagen wir mal, als Nachfolger von Außenminister Fischer.

So muss sich das Fritz Kuhn gedacht haben, als er sein Buch „Nachrichten für Optimisten“ verfasst hat. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen hat er sogar etwas zu sagen, da für ihn der „Aufbruch in die Wissensgesellschaft“ oder die „Ökologische Modernisierung“ (so zwei der Kapitelüberschriften) nicht nur schön klingende Formeln sind. Nur: Substanziell erfährt man nicht mehr als in einem aktuellen Interview mit Kuhn.

Am besten kennt sich der ehemalige Professor für „Sprachliche Kommunikation“ zweifellos in der medialen Vermittlung politischer Inhalte aus: „Wer ‚Verkaufen‘ als Verrat an der Sache empfindet, muss allerdings zur Kenntnis nehmen, dass sich Politik in Systemen, die durch Wahlen legitimiert sind, nicht durchsetzen kann, wenn sie die Wählerinnen und Wähler nicht erreicht.“ Hier macht er zu Recht entscheidende Fehler bei den Regierungsparteien aus: Sie lassen Kommissionen schier endlos tagen, dann in der Partei kakophonisch diskutieren, um schließlich ein Ergebnis zu verkünden, das dank innerparteilichen Gemäkels oder der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nicht länger als eine Woche Bestand hat.

Kuhn verlangt: „In allen Phasen der Konzeptionsbildung muss bereits die Strategie der Vermittlung miteinbezogen werden. Sie ist Bestandteil des Konzepts, oder das Konzept ist chancenlos.“ Denn nur wenn die BürgerInnen darauf vertrauten, dass eine Entscheidung der Gemeinschaft nütze, würde sie zumindest akzeptiert. Die Politik müsse bei Veränderungen eine „Sinnstiftung“ leisten, sonst würden sie blockiert. Dass manche Konzepte auch wider bessere Einsicht verhindert werden, erwähnt Kuhn zwar, spielt in seiner Argumentation aber keine Rolle.

Überhaupt kann er sich nicht so recht entscheiden, ob er nun ein Buch als Parteipolitiker schreibt oder als Sozialwissenschaftler. Einerseits analysiert er so klar wie wenige Politiker die komplexen Probleme der Sozial- und Wirtschaftspolitik, andererseits verteidigt er ständig die ach so kluge und weitsichtige Politik der Bundesregierung – egal ob Agenda 2010 oder Hartz. Eine eigenständige Position wird so nicht deutlich.

Erschwerend kommt hinzu: Kuhn will ständig beweisen, wie umfassend gebildet er ist. Also zitiert er bekannte Soziologen wie Gerhard Schulze oder Albert O. Hirschmann, fast vergessene kritische Juristen wie Rudolf Wassermann oder neue Popstars wie Judith Holofernes von „Wir sind Helden“. Auch wenn es zur Argumentation wenig beiträgt, hat er stets ein schönes Zitat parat: Stichwort „Heimat“, da fällt ihm sofort Ernst Bloch ein, zu Nostalgie Martin Walser, zu Armut John Berger, zu Individuum versus Gesellschaft Norbert Elias und Michael Krüger, zur Verantwortung der Bürger Ralf Dahrendorf.

Manche der Zitate sind in der Tat schlagend, viele jedoch nicht mehr als feuilletonistisch aufgepeppte Binsen. Kurz: Man hätte Kuhn vor dem Schreiben den Zettelkasten wegnehmen sollen. Dann wäre sein Buch erheblich nüchterner, klarer und lesbarer geworden. So ist es mit bildungsbürgerlichem Ballast überladen, auf den Kuhn auch noch zahlreiche unnötige technokratische Begriffsungetüme („kognitive Dissonanz“) draufsattelt. Pech für Optimisten. DANIEL HAUFLER

Fritz Kuhn: „Nachrichten für Optimisten. Ein Buch vom Verändern und Bewahren“. DVA, München 2003, 300 Seiten, 19,90 €