Kein Schiff wird kommen

Manche der in Beirut sitzen gelassenen Familien haben die Heimreise auf dem Landweg angetreten: „Wir wurden auf der ganzen Linie abgezockt“, sagen sie. Andere Familien campieren bis heute bei ihren Verwandten im Libanon – notgedrungen

„Das wünsche ich dem Betrüger: Dass er mit seinen Kindern auch mal so eine Fahrt machen muss!“Der Bremer Unternehmer, heißt es, sei mit dem Geld seiner KundInnen über alle Berge

aus Bremen Eva Rhode

Für den Bremer Mounir Taha*, den Oldenburger Imad Salami, ihre Familien und vermutlich Tausende weitere Europa-Heimkehrer wird der Sommerurlaub unvergesslich bleiben: Als sie im August von Beirut über Ancona zurück in ihre europäischen Heimatländer, nach Frankreich, Holland, Deutschland oder Schweden fahren wollten, war ihr Reiseveranstalter untergetaucht. Keine Fähre über das Mittelmeer in Sicht.

Stattdessen standen Hunderte geprellter Reisender am Kai – mit Rückfahr-Tickets in den Taschen, die nun nichts mehr wert waren. Ihr Protest-Hupen im Beiruter Fährhafen rief lediglich die Presse und den libanesischen Verkehrsminister auf den Plan – doch die halfen auch nicht. Die erste direkte Fährverbindung zwischen Italien und dem Libanon, „First Beirut Lines“ war offenbar Pleite gegangen, bevor sie wirklich lief.

Bis November soll die Fähre, die Anfang August den Betrieb einstellte, nachdem der Kapitän seine Heuer nicht erhalten hatte, ausgebucht gewesen sein. Genaues aber weiß niemand, nur die Gerüchte kochen: Der Bremer Unternehmer Said Abu-Sleiman, heißt es, sei mit dem Geld seiner KundInnen, möglicherweise einer Millionen-Summe, über alle Berge.

Tatsächlich ist das unscheinbare Reisebüro seiner Orient Travel- und Logistik-Service GmbH & Co. KG in der Bremer Neustadt verwaist. Dort ließ sich Abu-Sleiman die Tickets bezahlen – und das nicht zu knapp. In den bequemeren Kabinen belief sich der Preis schnell auf 400 Euro pro Erwachsenem. Kinder allerdings zahlten auf „Sitzplätzen“ keine 100 Euro retour – was das Angebot für große Familien interessant machte. Mindestens drei Viertel der Gestrandeten dürften weit unter siebzehn Jahre alt sein.

Auch die sechs Kinder der Oldenburger und Bremer Familien waren zwischen drei und 16 Jahre alt. Trotzdem griffen die Eltern zur Selbsthilfe. „Was hätten wir tun sollen?“, seufzen sie noch heute. Im Konvoi mit acht Wagen durchquerten sie die Mittelmeerländer. In fünf langen Tagen fuhren sie auf Landstraßen und Autobahnen über 5.000 Kilometer zurück nach Deutschland. „Ein echter Horrortrip“, sagen sie. Allein in Bremen liegen bereits drei Anzeigen gegen den Chef des Bremer Reiseveranstalters Orient Travel- und Logistik-Service GmbH & Co. KG vor. Ihn halten die Geschädigten für den Urheber der Pleite. Sie wissen von unzähligen Anzeigen, die andere Geprellte in ganz Europa gestellt haben.

„Wir sind wenigstens wieder zu Hause“, sagt Mounir Taha*. Aus Beirut hören er und andere Bekannte, dass vermutlich Tausende noch festhängen. Sie campierten nun bei Freunden oder Familienangehörigen, weil Flüge weg von Beirut über Wochen hinweg ausgebucht sind. Oder weil sie das Geld erst beschaffen müssen, um die Rückreise – ein zweites Mal – bezahlen zu können.

„Wir konnten als deutsche Staatsbürger immerhin ins Auto steigen und losfahren“, sagen Taha und Salami. Wer aber in Deutschland nur mit Aufenthaltsbefugnis lebt, dem bleibe der Landweg so gut wie versperrt. „In x Ländern braucht man ein Visum, auf jedes Visum wartet man eine Woche, das kostet Zeit und Geld“, beschreibt Salami die Hindernisse.

Zeit und Geld hat die Rückreise nach Norddeutschland den Oldenburger Pizzabäcker jedoch auch gekostet. Und jede Menge Nerven – obwohl er sich mit Frau und vier kleinen Kindern vorausschauend dem Konvoi angeschlossen hatte. Aus Sicherheitsgründen. Denn schon letztes Jahr hatte ihn der ADAC vor einer Fahrt durch Bulgarien gewarnt. „Zu Recht“, wie Salami heute weiß. „Die Polizisten dort sind Banditen.“

Das bestätigt Taha. Alle fünf Kilometer sei ihnen von bulgarischen Polizisten aufgelauert worden, die Pässe und Wagenpapiere verlangten und diese erst gegen ein ordentliches Bakschisch wider hergaben. Jeder im Konvoi wurde so – manchmal mehrfach – gemolken. „Dass Bulgarien zur EU gehören soll, ist für mich unbegreiflich“, schimpft Taha. Die Strapazen der 5.000 Kilometer, die er alleine fuhr, wenn er nicht mit den anderen auf der Tankstelle Rast machte, sind ihm noch anzumerken. Er gäbe etwas dafür, wenn der Reiseunternehmer diese Reise nur einmal mit Kindern antreten müsste. „Unsere Kinder hatten manchmal richtig Angst“, sagen die Mütter und Väter.

Dass ihnen jemand den Schaden ersetzt – Arbeitsausfall, Ticket und Extra-Kosten – daran mögen die Geschädigten nicht wirklich glauben. Vieles spricht dafür, dass libanesische Zeitungsberichte zutreffen, wonach Abu-Sleiman sich ins Ausland abgesetzt hat. Seine Internetseite, auf der er den betrogenen Kunden die Überfahrt mit Bauchtanz, Disko und Luxuskabinen schmackhaft machte, ist jedenfalls abgeknipst. Und unter allen seinen Telefonnummern ist der Mann schon lange „vorübergehend nicht zu erreichen“.

* Name geändert