Aha. Diktatur

Große Wiedereröffnung des Bremer Goethetheaters mit Giacomo Puccinis unvollendeter letzter Oper „Turandot“

Seltsam, dieser Kalaf in Peer Boysens Inszenierung von Giacomo Puccinis unvollendeter letzter Oper „Turandot“ (1926): ein Intellektueller, ein getriebener Ahasver, der sich nach geleisteter Gedankenarbeit eine Zigarette gönnt, mit der er Ringe bläst. Er zeigt keinerlei Gefühlsregung, als er die für alle anderen tödlichen Fragen der stolzen Prinzessin beantworten kann.

Sie ist kein verkleideter Eisblock aus mythischen Zeiten, wie man die Figur sonst meist sieht, sondern eine glutvoll-zornige moderne junge Frau, die ihre leicht psychopathische Obsession lebt: die einst vergewaltigte Ahnin zu rächen, indem sie keine Männer mehr an sich heranlassen will.

Ein ungemein spannender Theaterabend entfaltet sich im wiedereröffneten Theater am Goetheplatz: Das Orchester auf der Bühne, der Chor im Orchestergraben (schön die Münder verklebt: aha! Diktatur!), dazwischen ein relativ kleines Podest, auf dem sich ohne weitere Requisiten alles abspielt. Im Hintergrund noch eine ins Unendliche führende Treppe (Bühne und Kostüme: Peer Boysen).

Diese Art gestisches Theater, intelligent durchsetzt mit den drei Commedia dell‘Arte- Figuren, ist überzeugend gelungen.

Er tut vor allem der Musik gut: Renes kämpft vor allem um strukturelle Klarheit, ohne auf die ja auch leicht schwülstige Italianità zu verzichten. Renes‘ Disposition von Puccinis vielleicht kühnster Partitur ließ keine Wünsche offen: Farben, Rhythmen, dramatische Explosionen – stets standen Riesenblöcke im Raum. Dazwischen: ein anrührendes Charakterbild des bedeutungslosen Diktators, des chinesischen Kaisers: Nackt und weiß humpelt er durch die Szene (Yosuke Kodama). Die tartarischen Flüchtlinge Timur und Liú sind ergreifend gezeichnet. Und so ist es nach Liús Selbstmord folgerichtig, dass Kalaf und Turandot am Ende nicht zusammenkommen. Kein Jubelschluss, sondern einsames Aneinandervorbeireden.

Die Amerikanerin Carter Scott war eine stimmlich und schauspielerisch große Turandot, die sich mit ihrer Trauer am Ende wieder am Vater anlehnt. Und Emmanuel di Villarosa als Kalaf beeindruckte mit blendender Belcantotechnik, die der Figur die vom Regisseur ausgetriebene Leidenschaft zurückgab. Ute Schalz-Laurenze