Die Heldin der Schwarzfahrer

Minerva Cuevas legt sich mit Lebensmittelgiganten und Ölmultis an und vertreibt mit ihrer „Firma für ein besseres Leben“ Studentenausweise und Empfehlungsschreiben. In einer Berliner Ausstellung nimmt sich die Mexikanerin jetzt die BVG vor

VON ALENA SCHRÖDER

Wenn man Minerva Cuevas fragt, was ihr an Berlin gefällt, erhält man erstaunliche Antworten: „Die Stadt ist so klein und überschaubar, man ist unheimlich schnell da, wo man hinmöchte“, sagt sie. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man weiß, dass die Künstlerin aus der Metropole Mexiko-Stadt stammt, in der je nach Schätzung 8 bis 25 Millionen Menschen wohnen. Seit fast einem Jahr lebt Minerva Cuevas ausgestattet mit einem DAAD-Künstlerstipendium im beschaulichen Berlin, einer Stadt in der „die Menschen noch Zeit und Raum haben, ihr Leben zu genießen“, wie sie sagt.

Minerva Cuevas, 29 Jahre alt, gönnt sich selbst wenig Zeit. Ihre schwarzen Stiefel, die sie auch im Sommer trägt, zeugen davon, dass sie viel in Bewegung ist. Nett sieht sie aus, beinahe unschuldig und gar nicht nach einer Politaktivistin, die sich mit Global Playern anlegt, Studentenausweise fälscht und Schwarzfahrer zu ihren persönlichen Helden erklärt. „Schwarzfahrer are my heroes“ ist auch der Titel ihre Ausstellung in der DAAD-Galerie.

Die BVG als sozialen Filter hat Minerva Cuevas dabei im Visier und die zunehmende Privatisierung öffentlichen Eigentums in der Stadt. Auslöser für die Idee war Minervas erstes Erlebnis mit einem U-Bahn-Kontrolleur: „Die ganze Szene hat mich sofort an einen Überfall erinnert, wie man ihn in der U-Bahn von Mexiko-Stadt manchmal erlebt. Die Kontrolleure üben eine soziale Kontrolle aus, die in Berlin offenbar gesellschaftlich völlig akzeptiert wird“, sagt sie.

Cuevas arbeitet mit Videoinstallationen, Fotos, riesigen Plakatwänden, auf denen sie die Logos bekannter Marken verfremdet. „Purer Mord“ anstatt „Pure Tomatoe“ steht etwa auf einem Wandbild, das die berühmte Tomatendose der Firma Del Montte zeigt. Daneben hängt eine Tafel mit Informationen über die Verbindungen des Lebensmittelgiganten mit der CIA und dem Unrechtsregime des guatemaltekischen Diktators Efrain Rios Montt, der der Firma ihren Namen gab. Noch bis zum 3. Oktober ist „Purer Mord“ in der NGBK-Ausstellung „Nine Points of the Law“ zu sehen.

So oft wie möglich nutzt sie öffentlichen Raum für ihre Aktionen: In einem Freizeitpark in Mexico-Stadt ließ Cuevas 2002 Autoscooter mit Labels von Ölfirmen bekleben und ordentlich gegeneinander rumsen. Die Botschaft ist klar und lässt wenig Raum für Interpretation. „Es ist ganz einfach“, sagt Cuevas. „Ich übersetze nur soziale Themen in ein Kunstwerk, daran gibt es nichts zu deuten.“ Zu viel Interpretation geht ihr auf die Nerven. Als sie 1998 „Mejor Vida Corp“, eine Firma für besseres Leben gründete, sei sie von der mexikanischen Presse in alle möglichen ideologischen Schubladen gesteckt worden. „Dabei war das nur ein Straßenprojekt ohne Konzept und theoretischen Unterbau“, sagt sie. Als Geschäftsführerin von „Mejor Vida Corp“ verschenkt Cuevas U-Bahn-Fahrscheine und Lotterielose, stellt eigene Studentenausweise aus und überklebte die Strichcodes überteuerter Ware in Supermärkten mit eigenen Codes, die an der Kassen einen deutlich geringeren Preis anzeigen.

Heute kann man alle Produkte der „Mejor Vida Corp“ kostenlos im Internet bestellen. „Besonders die Studentenausweise und die persönlichen Empfehlungsschreiben sind sehr gefragt“, sagt Cuevas, die mit dem Versand kaum noch nachkommt. Kleine anarchische Kostproben ihres Schaffens gibt es für die Dauer der Ausstellung im direkt unter der DAAD-Galerie liegenden Café Einstein: Zum überteuerten Milchkaffee bekommen die Gäste chinesische Glückskekse, von Minerva Cuevas mit revolutionären Botschaften Che Guevaras und Albert Einsteins bestückt.

„Schwarzfahrer are my heroes“. DAAD-Galerie, Kurfürstenstraße 58, bis 31. 10., täglich von 12.30 bis 19 Uhr. „Nine Points of the Law“ bis 3. 10., täglich 12 bis 18.30 Uhr, NBGK, Oranienstraße 25