„Die Zeit rennt John Kerry davon“, sagt Norman Birnbaum

George Bushs Bilanz ist mies: hohe Arbeitslosigkeit, ein unpopulärer Krieg. Doch die Demokraten tun sich schwer

taz: Herr Birnbaum, George W. Bush scheint auf der Zielgeraden momentan der Schnellere zu sein.

Norman Birnbaum: Die Umfragen zeigen einen Vorsprung. Doch in den „Swing States“, wo die Entscheidung fallen wird, ist das Duell noch nicht gelaufen.

Aber die Republikaner haben es geschafft, von Bushs wenig ruhmreicher Amtszeit abzulenken und stattdessen Kerry zu denunzieren.

Stimmt. Aber Umfragen haben auch deutlich gemacht, dass gerade Wechselwähler, und auf die kommt es an, diese Verleumdungskampagne nicht gutheißen. Sie interessieren Inhalte und wollen wissen, was die Kandidaten in der Irakfrage oder Gesundheitspolitik anzubieten haben. Zweifellos hat Bush seine Stammwählerschaft überzeugt. Ob er die Unentschiedenen erreicht, ist unklar.

Millionen verlorene Jobs, explodierende Gesundheitskosten, Folterskandal, ein unpopulärer Krieg – das müsste doch reichen. Warum steht Kerry so schlecht dar?

Es gibt ein altes amerikanisches Sprichwort: Du kannst nicht einen Jemand mit einem Niemand schlagen. Kerry hat es bislang nicht geschafft, ein klares politisches Profil von sich und den Demokraten zu entwickeln. Es gibt für ihn noch die große Chance der Fernsehdebatten. Diese dürften dieses Mal noch wichtiger werden als 2000. Denken wir an 1960. Viele Amerikaner zweifelten an John F. Kennedy, damals ein relativ unbekannter, wohlhabender, wenn auch charmanter Mann, ein katholischer Senator ohne bemerkenswerte Initiativen im Kongress. Dagegen war Nixon ein erfahrener Politiker. Aber Kennedy hat im TV brilliert und so die Wahl gewonnen.

Die Demokraten sind sichtlich nervös. Merken sie, dass der spröde Kerry der falsche Kandidat ist?

Nun, es ist ohnehin zu spät. Wenn ich zurückblicke, war er nicht so sehr die falsche Wahl. Er hat eine falsche Strategie gefahren. Es ging zu viel um Vergangenheit, Vietnamkrieg, und zu wenig darum, wie er Amerika in Zukunft gestalten will und warum er in seiner Zeit als Senator oft seine Haltung geändert hat. Damit lieferte er den Republikanern eine breite Angriffsfläche. Kerrys Problem ist tatsächlich, dass er nicht konsistent war. Vor allem in der Irakfrage. Auf innenpolitischem Terrain ist er klarer.

Woanders gilt Meinungsänderung durchaus als Zeichen von Intelligenz.

Ja. aber Kerry hat angekündigt, dass er die US-Truppen binnen vier Jahren abziehen will. Wie er das anstellen will, sagt er nicht. Kerrys Problem ist, er hat keinen Plan für den Irak. Sein Versprechen, dass er die Lasten der Besatzung unter den Alliierten besser verteilen wird, ist lächerlich. Man muss kein Professor für Internationale Beziehungen zu sein, um zu wissen, dass Frankreich und Deutschland da nicht mitmachen.

Aber Bush hat auch keinen Plan.

Sicher. Aber Kerry kann nicht Bush kritisieren ohne substantielle Gegenvorschläge zu präsentieren. Der Mann hat genug Berater, um für alle befreundeten Parteien in Europa Wahlkampf zu machen. Dennoch haben sie es nicht verstanden, eine klar erkennbare politische Linie zu entwickeln. Es ist noch nicht zu spät, aber die Zeit rennt Kerry davon.

Im Frühsommer schien es, die Demokraten hatten mit ihrer Kampfansage gegen die zunehmende Erosion der Mittelschicht ihr Thema gefunden.

Ja, aber auch damals blieb die Umsetzung nebulös. Jetzt versuchen sie, eine Verbindung zwischen dem Irak und der Innenpolitik herzustellen, die massiven Transferleistungen anprangern, sodass hierzulande Geld für Schulen oder Gesundheitsreformen fehlt. Das ist ein guter Ansatzpunkt nach dem Motto „Milliarden für Bagdad und keinen Cent für Baltimore“. Damit kann man eine Wahl gewinnen.

War es ein Fehler, einen Senator mit 20 Jahren Kongressarbeit ins Rennen zu schicken, dessen Abstimmungsverhalten eine leichte Angriffsfläche bietet? Der letzte Senator, der ins Weiße Haus einzog, war John F. Kennedy, alle anderen Präsidenten waren zuvor Gouverneure.

Es ist viel einfacher, einen Senator zu attackieren. Aber in Kerrys Fall ist es noch dramatischer, da er kein legislatives Profil hat – außer seinen häufigen Positionswechseln. Er kann auf einige bemerkenswerte Kongress-Untersuchungen verweisen, aber er hat sich nicht, wie etwa Edward Kennedy, einen unverwechselbaren Namen gemacht. Allein schon deswegen hätte sein Wahl-Team zuallererst ein prägnantes politisches Programm vorlegen müssen.

Sind die Demokraten im Wahlkampf einfach zu brav?

Sie hätten sich eine bessere Arbeitsteilung zulegen sollen. Die Republikaner haben ihre Teams für die Schmutzkampagnen und Vize Dick Cheney, der unter die Gürtellinie schießt. Die Demokraten sind da schlecht organisiert. Doch selbst wenn sie es wären, bleibt ihre Botschaft konfus. Das liegt daran, dass in ihrer Brust zu viele Seelen wohnen. Sie sind zu heterogen. Traditionalisten streiten mit Modernisierern. Es fehlt eine Gesamtvision von der Gesellschaft. Um die Differenzen bei den Demokraten zu kitten, bedarf es einer charismatischen Persönlichkeit wie Clinton. Die fehlt.

INTERVIEW: MICHAEL STRECK