Scharfe Schüsse auf den Mast

Die US-Regierung will Komponenten für ABC-Waffen und Raketen künftig auch auf hoher See abfangen lassen. Deutschland unterstützt die Pläne. Über deren Umsetzung wird von heute an in London verhandelt. Weitere Manöver sind geplant

von ERIC CHAUVISTRÉ

Die „Tokyo Summer“ kreuzt in der Coral Sea vor der Küste des australischen Bundesstaates Queensland. Beobachtet und schließlich gewaltsam abgefangen wird der Frachter, der nur für dieses Manöver den sommerlichen Phantasienamen trägt, von einem französischen Patrouillenflugzeug und einer ganzen Armada von Kriegsschiffen aus Australien, Japan und den USA. Was die insgesamt 800 Soldaten aus vier Ländern am 13. September kurz nach Sonnenaufgang unter dem Codewort „Pacific Protector“ probten, könnte bald zur Regel werden. Nach dem Willen der US-Regierung sollen Schiffe immer dann abgefangen, gekapert und durchsucht werden dürfen, wenn die Geheimdienste in Washington vermuten, an Bord befänden sich Komponenten für Atom-, Chemie- oder Biowaffen oder Teile für die Raketenproduktion.

Bei einer heute in London beginnenden Konferenz will die US-Regierung diesem Ziel ein Stück näher kommen. Bereits zum vierten Mal innerhalb von fünf Monaten treffen Regierungsvertreter aus elf Staaten zusammen, um an dem Regelwerk für solche Aktionen zu arbeiten und weitere Manöver wie das vom letzten Monat im Südpazifik zu vereinbaren. Neben Australien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, den Niederlanden, Polen, Portugal, Spanien und den USA beteiligt sich auch Deutschland an der so genannten „Proliferation Security Initiative“.

Offiziell initiiert von Präsident George W. Bush während seines Polen-Besuchs Ende Mai, trat die Runde bereits im Juni in Madrid, im Juli in Brisbane und im September in Paris zusammen. Bei dem Treffen in der französischen Hauptstadt einigte man sich auf ein Memorandum, mit dem sich die beteiligten Regierungen dazu verpflichten, „effektive Maßnahmen“ zu unternehmen, „um den Transfer oder den Transport“ von ABC-Waffen, Raketen und ihren Komponenten – sei es auf dem Landweg, mit Flugzeugen oder auf Schiffen – dann zu „unterbinden“, wenn Ziel oder Herkunft der Ladung ein Staat ist, bei dem es Grund zur „Proliferationssorge“ gibt. Aktuell meint Washington damit selbstverständlich Nordkorea und Iran – die zurzeit mit den USA verbündeten Atomwaffen- und Raketenproduzenten Indien und Pakistan, und erst recht Israel, haben nichts zu befürchten.

Zwar ist die in dem Memorandum enthaltene Selbstverpflichtung zur Durchsuchung von „ausreichend verdächtigen“ Schiffen darauf begrenzt, Abfangaktionen in den eigenen Territorialgewässern und auf Frachtern zu unternehmen, die unter der Flagge des eigenen Landes fahren. Doch erklären die teilnehmenden Staaten auch, die Erteilung einer Blankovollmacht „ernsthaft zu prüfen“, sodass „andere Staaten“ – also vor allem die USA – die eigenen Handelsschiffe überprüfen dürfen. Zumindest langfristig wollen die USA diese Praxis auch auf internationale Gewässer und alle Schiffe ausgeweitet sehen. Und der auf Seiten der US-Regierung für die Gespräche zuständige Staatssekretär im Außenministerium, John Bolten, hat schon einmal deutlich gemacht, dass man sich bei Abfangaktionen auch generell auf das, schon im Irakkrieg reklamierte, „Recht zur Selbstverteidigung“ berufen könne.

Wie das im Ernstfall aussehen kann, zeigt ein Vorfall im Dezember letzten Jahres: Eine innerhalb der „Operation Enduring Freedom“ am Horn von Afrika kreuzende spanische Fregatte hatte von der US-Einsatzleitung den Auftrag bekommen, ein Schiff mit nordkoreanischen Raketenteilen an Bord abzufangen. Um sich den zunächst verweigerten Zutritt zum Frachter zu erzwingen, schoss der Kommandeur des spanischen Schiffes, nach Rücksprache mit der Regierung in Madrid, sogar mit scharfer Munition auf den Mast des Frachters.

Mit Blick auf Konfrontationen dieser Art scheint der Bundesregierung die Beteiligung an der Initiative, die jetzt in London weiterentwickelt werden soll, auch ein wenig unangenehm. Denn während sowohl das britische, französische und das US-amerikanische Außenministerium bereits ausgiebig Informationen zu den brisanten Plänen verbreiten, hält sich das Auswärtige Amt in Berlin mit öffentlichen Stellungnahmen bislang noch zurück.

Schon bald wird sich aber auch die Bundesregierung wohl auf eine klare Haltung zu den Militäraktionen festlegen müssen: Nach Informationen der taz plant die Bundeswehr unter dem Dach der „Proliferation Security Initiative“ für das kommenden Jahr gemeinsam mit britischen, französischen und spanischen Seestreitkräften mindestens zwei Manöver zum Abfangen von Schiffsladungen.