Eine Panne mit erfreulichen Nebenwirkungen

Die Äußerungen von Bundespräsident Köhler dürfte die CDU Stimmen kosten bei den Landtagswahlen. Aber die Parteispitze bleibt gelassen: Die Verluste könnten die Dauerkritiker in den eigenen Reihen zum Schweigen bringen

BERLIN taz ■ Angela Merkel hat gestern einen frommen Wunsch geäußert. Alle, die sich über die Bemerkungen des Bundespräsidenten zum Ost-Verhältnis echauffierten, sollten doch bitte das komplette Interview zur Kenntnis nehmen, das Horst Köhler dem Focus gegeben hatte. Davon erhofft sich die CDU-Chefin eine „Versachlichung der Debatte“. Denn bei genauer Lektüre würde man merken, dass die Aufregung weit übertrieben sei.

Diese Ansicht vertrat auch Merkels Vize in der Bundestagsfraktion. Köhler sei „missinterpretiert und überinterpretiert“ worden, sagte Wolfgang Bosbach der taz. „Der Bundespräsident hat weder die Aufkündigung des Solidarpakts noch des Länderfinanzausgleichs gefordert.“

Auch CDU-Parteivize Christian Wulff war bemüht, Köhlers Aussagen zu relativieren, indem er darauf hinwies, dass der Präsident keineswegs nur über die Unterschiede zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Nord und Süd gesprochen habe. So weit die offiziellen Reaktionen aus der Unionsführung.

Einer, der nicht zitiert werden möchte, räumt jedoch ein: „Eine Wahlkampfhilfe war das natürlich nicht.“ Inoffiziell rätselte man deshalb auch in der CDU noch gestern, was Parteifreund Köhler dazu bewogen hat, den Ostdeutschen ausgerechnet kurz vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen mitzuteilen, es gebe „nun einmal überall in der Republik große Unterschiede in den Lebensverhältnissen“. Unzweideutig hatte Köhler angemerkt, „wer sie einebnen will, zementiert den Subventionsstaat und legt der jungen Generation eine untragbare Schuldenlast auf“.

Als freundliche Unterstützung für die ohnehin Hartz-geplagten Wahlkämpfer der CDU in Brandenburg und Sachsen kann man diese Sätze selbst beim besten Bundespräsident-geneigten Willen nicht verstehen. Da Köhler als Merkel-Mann gilt, passen sie allerdings sehr gut zu einer Verschwörungstheorie, die in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gerade erst verbreitet wurde. CDU-Chefin Merkel, hieß es da, wünsche sich insgeheim nur mittelmäßige Ergebnisse für die Parteifreunde bei den Landtagswahlen am Sonntag. Ein leichter Dämpfer für die CDU, so die Theorie, würde zur Erkenntnis in den eigenen Reihen führen, dass innerparteilicher Streit nichts bringe, und auch die Reformkritiker in der Partei zu mehr Geschlossenheit verleiten.

Nur eine „abstruse Theorie“, wie Merkels Vize Bosbach offiziell beteuert? Schlechte Wahlergebnisse könnten tatsächlich eine „disziplinarische Wirkung“ haben, verlautete es gestern aus Merkel nahe stehenden Unionskreisen. Dass Köhler der Ost-CDU absichtlich schaden wollte, hält man dennoch für „abwegig“. Als Erklärung ist vielmehr ein Hinweis auf Köhlers Pressesprecher Martin Kothé zu hören. Der habe vorher für FDP-Chef Guido Westerwelle gearbeitet, hieß es, und wisse vielleicht noch nicht, dass Äußerungen eines Bundespräsidenten größere Wirkung haben als die von Westerwelle.

LUKAS WALLRAFF